Eva Joly ist Frankreichs erste Kandidatin mit doppelter Staatsangehörigkeit, die an einer Präsidentschaftswahl teilnimmt. Die in Norwegen gebürtige Kandidatin hat durch Heirat ihre französische Staatsbürgerschaft erhalten. Ein Teil der UMP die sich „la Droite Populaire“ nennt, eröffnete eine Debatte über die Frage der doppelten Staatsangehörigkeit.
In Deutschland ist es beispielsweise nur für EU-Bürger möglich, dass ihnen zusätzlich zu ihrer jeweiligen Staatsbürgerschaft auch die Deutsche Staatsbürgerschaft anerkannt wird. Die Staatsangehörigkeit ist formal eine rechtliche Verbindung zwischen Staat und Bürger. Der Staat entscheidet souverän, unter welchem gesetzlichen Rahmen die Staatsangehörigkeit steht. In den letzten 30 Jahren haben sich diese Regelungen in Frankreich und Deutschland gewandelt.
Seit dem Staatsangehörigkeitgesetz von 2000 und den Zuwanderungsgesetzen, die 2005 verabschiedet worden sind, haben sich die rechtlichen Voraussetzungen in Deutschland und Frankreich einander sogar angenähert.Grundsätzlich kann durch Abstammung, Adoption, Geburt im Inland oder durch Einbürgerung die Staatsbürgerschaft erlangt werden.Hier liegt allerdings der größte Unterschied zwischen beiden Ländern. In Deutschland dürfen EU-Bürger die doppelte Staatsangehörigkeit tragen. Bürger aus Nicht-EU Staaten müssen sich aber bis zu ihrem 23. Geburtstag zwischen beiden Möglichkeiten entschieden.
Seit einem Gesetz von 1998 ist dies in Frankreich nicht mehr der Fall. Ein Kind ausländischer Eltern, das in Frankreich das Licht der Welt erblickt, wird als französischer Staatsbürger anerkannt.Dieses Gesetz steht heute im Visier der Abgeordneten, die sich „La droite Populaire“ nennen.
Diese Gruppe wurde von zwei Parlamentariern der UMP, Lionnel Lucas und Thierry Mariani begründet. Ziel ihres Zusammenschlusses ist eine „Rückkehr zum Fundament der Rechte“. Ende 2010 haben die 42 Abgeordneten vor der Regierung einen Vorschlag zur Gesetzesänderung der doppelten Staatsbürgerschaft eingereicht.„Die doppelte oder dreifache Staatsbürgerschaft bedeutet, seinen Ausweis wie eine Kreditkarte einzusetzen, als würde man die Vorteile verschiedener Länder für seine persönlichen Interessen ausnutzen: Hier die umfassendste soziale Absicherung, dort die einfachsten Steuerregelungen. Das kann nicht die Ursache für die Verbundenheit zu einer Nation sein, im Gegenteil zerstören sie diese und bringen zu Abschottung .“ meinte Lionnel Lucas . Zunächst wurde der Antrag von der Regierung zurückgewiesen. Um seinen Standpunkt noch weiter Ausdruck zu verleihen, kündigte Lionnel Luca im Juli 2011 den Rücktritt von seinem Amt als Staatssekretär für Immigration an. Das Kollektiv der Abgeordneten repräsentiert allerdings die äußerste Rechte der UMP. Und ein Jahr vor den Wahlen wollte Präsident Sarkozy diesen Teil der Wähler wohl nicht verärgern.Jean-Francois Copé, General Sekretär der UMP, konnte Lucas durch das Einberufen einer Initiative zum Thema Staatsbürgerschaft, die von beiden geleitet wurde, im Amt halten.Bereits im Juni 2011 hatte der Abgeordnete Claude Goasguen in seinem Bericht über Staatsbürgerschaft die Diskussion um die doppelte Staatsbürgerschaft nochmals entfacht. Nach Meinung von Goasguen solle man die Zahl der Einbürgerungen stark limitieren. Sei ein Kind ausländischer Eltern in Frankreich geboren, solle es im Alter von 18 den Wunsch nach französischer Staatsbürgerschaft deutlich äußern. Dieses Modell könnte dem heutigen deutschen Recht ähneln.
Ende der Neunziger plante die damals regierende Rot-Grün Koalition eine Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts. Ziel der Reform war die Einführung der doppelten Staatsbürgschaft. Die Reformgegner, damals die CDU/CSU, organisierten daraufhin eine Unterschriftenaktion gegen die Einführung. Während der Aktion argumentierte die Opposition damit, dass die Reform eine Erhöhung der Einbürgerungsquote mit sich brächte.Die Aktion der CDU/CSU „Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft“ hatte 1999 einen enormen Einfluss auf den hessischen Landtagswahlkampf. Die Landtagswahl wurde damit sogar zu einer Art Volksabstimmung gegen die Reform. Die Union zog damals erfolgreich in die Landtagswahl und die Rot-Grün Regierung verlor ihre Mehrheit im Bundesrat, und damit auch die Möglichkeit der Umsetzung der geplanten Reformen für eine doppelte Staatsbürgerschaft. Nach langer Debatte wurde das „Optionsmodell“ als Alternative gewählt. Es gibt einige Ähnlichkeiten in der Debatte von 2000 in Deutschland und der heutigen Debatte in Frankreich.
"Ein Problem löst sich nicht, indem man ihm den Rücken zukehrt. Außerdem, es sind nicht alles Franzosen mit Migrationshintergrund die uns vor ein Problem stellen, sondern die Nicht-EU Bürger in Frankreich“. Der Kommentar Lionel Lucas erklärt uns, warum das Bündnis „La droite Populaire“ ein lange in Frankreich bestehendes Recht ändern Möchte. Claude Goasguen meinte 135 000 Einbürgerungen pro Jahr seien zu Viel. Die Einbürgerungsquote ist im beiden Ländern ein Streitfall . Also ist die Kontrolle der Staatsbürgschaft eben Mittel zum Zweck geworden, um die Zahlen der Einbürgerungen und damit verbundenen Problemen zu begrenzen.Auch die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts machte zum Zeitpunkt der Oppositionsbewegung „Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsangehörigkeit“ die Ausweis-Debatte zu einer Einwanderungsdebatte. Nach langer Diskussion wurde das „Optionsmodell“ als Alternative gewählt. Das „Optionsmodell ist allerdings ein nicht ganz unproblematischer Kompromiss.
Die Kinder von Zuwandererfamilien besitzen demnach eine befristete Staatsangehörigkeit. Im Alter zwischen 18 und 23 müssen sich die Jugendlichen für eine ihrer zwei Identitäten entscheiden. Gerade in dieser Lebensphase können solche Entscheidungen den gegenteiligen Effekt haben, und die Jugendlichen vor das Problem stellen, sich für eine ihrer beiden Kulturen entscheiden zu müssen. Der Zwang zur Entscheidung aufgrund von Gesetzgebung erleichtert es den Betroffenen nicht gerade, sich vollständig integriert zu fühlen.Auch Ausnahmen des Optionsmodells können das Problem noch verstärken. Kinder von Eltern unterschiedlicher Nationalität oder Bürger aus Nicht-EU Ländern müssen demgegenüber ein solche Entscheidung gar nicht erst treffen. Sie dürfen sogar beide Ausweise behalten.Seit 2000 gibt es also zwei verschiedene Arten eingegliederter Bürger: Da ist der eine Teil, dem die Staatsbürgerschaft sofort anerkannt wird, und der andere, der durch dasselbe Gesetz ausgegrenzt wird. Gegner der doppelten Staatsangehörigkeit behaupteten, dass die Gesetze von 2000 die Einbürgerung begünstigen würden.Anhand der letzten Statistik sind aber die Einbürgerungen in Deutschland seitdem gesunken. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass das „Optionsmodell“ die Integration etwas behindern könnte.
Die Reform hat auch einige administrative und rechtliche Schwächen. Erstens stehen den Ämtern 2018 mehr als 40 000 zu bearbeitende Fälle bevor. Zweitens sind die rechtlichen Grundlagen des „Optionsmodells“ sehr angreifbar.Was passiert, wenn beispielsweise ein Land wie Marokko den Entzug der marokkanischen Staatsbürgerschaft verbietet? Hier sind wir im Kern des Problems: Regelungen aus Deutschland greifen hier in das Staatsbürgerschaftsrecht anderer Länder. Selbst in Deutschland ist die deutsche Staatsangehörigkeit durch Artikel 15 des Grundgesetzes geschützt.Viele Stimmen in Deutschland kritisieren dies Bastelei am deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Die SPD, die Grünen und die Linke fordern die Durchsetzung der doppelten Staatsbürgerschaft. „Lehnen wir die doppelte Staatsbürgerschaft ab, verpassen wir die Chance, dass sich hier sozialisierte Menschen als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen können“ meinte die Integrationsbeauftragte der SPD-Fraktion, Aydan Özogu.
Vielleicht war die jüngste Debatte in Frankreich auch nur ein Wahlkampfmanöver für Nicolas Sarkozy und damit ein Versuch, rechte Wähler anzusprechen. Der Abänderungsantrag wurde auch innerhalb der UMP stark kritisiert. Führt man sich einmal all die rechtlichen und sozialen Nachteile des Deutschen Optionsmodells vor Augen, wird schnell klar, dies stellt keine Lösung für Streitfragen der Immigrations- oder Integrationsdebatte dar.Ähnlich wie vor 12 Jahren haben die Deutschen bald wieder eine „Chance“, ihre Gesetzgebung zu ändern.