Von Mike Plitt
Bilder: Jazzy Bazz - Rap Contenders - L'entourage (Quelle: FB)
Wer an die glorreiche Zeit des Ostküsten Hip-Hop und Rap in den 90er Jahren mit seinem Epizentrum New York zurückdenkt, dem werden unweigerlich die Namen von Künstlern wie Nas, Wu-Tang-Clan und Big L einfallen. Auch Chicago und die ,,Stadt der brüderlichen Liebe‘‘ Philadelphia hatten mit Common beziehungsweise der Combo The Roots mehr als würdige Vertreter, die in ihren Texten schon frühzeitig den Ausverkauf des Hip-Hop erkannten und kritisierten.
Zusammen mit dem experimentellen Stil eines Guru Jazzmatazz (gleichzeitig auch MC der Combo GangStarr), der nasalen Stimme Q-Tips in Alternation mit dem schrillen Sound Phife Dawg’s (beide MC‘s der Gruppe A Tribe Called Quest) sowie den Turntable-Künsten eines Kid Capri und Funkmaster Flex bildeten sie den Zenit der Hip-Hop Bewegung. Ein jähes Ende dieser goldenen Ära brachte die Fehde zwischen Ost-und Westküstenrappern zur Mitte der 90er Jahre.
Zunächst als Promotionsaktion der Musikbranche wahrgenommen, forderte sie letzten Endes doch den gewaltsamen Tod seiner Koryphäen Notorious B.I.G. (New York) und Tupac Shakur (Oakland). Qualität und Glaubwürdigkeit im Hip-Hop waren ab nun Mangelware, worüber auch die gelegentliche Brillanz eines Mos Def und Talib Kweli zum Ende des Millenniums nicht hinwegtäuschen können. Hip-Hops ist schon lange im Mainstream angekommen, siehe nur die Erfolge von Rappern à la Lil‘ Wayne, Lil‘ Jon und Ludacris, die selbst vor Features mit Teenie-Schwarm Justin Bieber nicht zurückschrecken. Wenigstens sind ihre Künstlernamen passend gewählt, denn allesamt sind sie viel zu klein um die ,,Kultur‘‘ zu verstehen.
Umso gespannter richtet sich mein Blick gen Frankreich, wo sich in den letzten Jahren mehrere Kollektive an der Blütezeit des Hip-Hop orientieren. Ihre Namen: 1995, S-Crew, l’Entourage und Cool Connexion. Frei nach dem Motto ,,Hip-Hop war früher besser‘‘ rappen und reimen sie sich aus dem Unter- in den Vordergrund, jedoch ohne die Rapper von früher bloß zu kopieren. Ein jeder von ihnen hat seinen eigenen Stil, was für frischen Wind in der immer monotoner klingenden französischen Szene sorgt. Diese galt zu Beginn der 90er Jahre mit ihren Pionieren NTM (Nique ta mère), IAM (u.a. Imperial Asiatic Men) und N.A.P. (North African Poets) als europäisches Hip-Hop Schwergewicht, das selbst im Geburtsland USA Anerkennung fand. Davon zeugen nicht zuletzt die amerikanisch-französischen Features von Alliance Ethnique mit Common sowie Guru’s Jazzmatazz mit MC Solaar. In der letzten Dekade erfuhr allerdings auch Hip-Hop in Frankreich einen Niveauabfall und wurde von goldkettentragenden Rappern wie Booba und unglaubwürdigen Combos wie Sexion d’Aussault beherrscht.
BACK TO THE ROOTS
Diese Entwicklung wollten die zwei in Paris lebenden Freunde Stunner und Dony S nicht mehr länger hinnehmen. Zusammen stellten sie Rap Contenders auf die Beine, eine Battle-League, in der MC’s gegeneinander antreten und sich, mit nichts weiter bewaffnet als Talent und Text, Wortgefechte liefern. Das ,,Battle‘‘, eine Königsdisziplin im Hip-Hop, wird gefilmt und anschließend ins Internet gestellt. Hilfe erhielten sie dabei unter anderem aus dem fernen Montréal, wo unter der Leitung von Filigrann bereits ein erfolgreicher Prototyp unter dem Titel WordUP! lief. Mit ihrem Vorhaben scheinen sie den Puls der Zeit getroffen zu haben, was nicht zuletzt an den vielen Views auf YouTube abzulesen ist. Das stärkste Duell lieferten sich bis dato der damals unbekannte Wojtek und der in Pariser Kreisen respektierte Jazzy Bazz. Letzterer (Mitglied der Kollektive Cool Connexion, L’entourage und Grande Ville) präsentierte hierbei eine erstklassige Performance, die durch Humor, enorme Bühnenpräsenz und Reimtechnik besticht. Schon jetzt gehörtsein Auftritt zu den Meisterleistungen des französischsprachigen Battle Rap. Dass der haushohe Erfolg gegen den würdigen Herausforderer Wojtek keine Eintagsfliege war, stellte Jazzy Bazz zwischenzeitlich mit weiteren Siegen gegen Künstler wie Pand’Or und Gaiden unter Beweis und hat heute die Krone als bester Battle-MC inne.
LÄSSIGER FLOW UND STREETKREDIBILITÄT - JAZZY BAZZ
Nicht wenige außerhalb von Paris wurden wahrscheinlich erst durch diese Videos auf das gewaltige Talent des schlaksigen Mannes mit dem Seemanns-Look und dem breiten Zahnpasta-Lächeln aufmerksam. Dabei dürften sie nach kurzer Google-Suche auf einen weiteren zukünftigen Klassiker gestoßen sein: Hommes de l‘Est. Zusammen mit seinem Kumpel Esso, dem Zweiten Mitglied der Gruppe Cool Connexion, liefern die beiden auf jazzigem Beat eine Hommage an die Freundschaft (,,Frauen gehen, Freunde bleiben‘‘) sowie an das die Künstler beheimatende und östlich gelegene Arrondissement 19. Dass die Chemie zwischen beiden MC’s stimmig ist, wird auch in den Videoausschnitten ihrer Live-Auftritte deutlich, vor allem dann, wenn sie die Texte des anderen zu Ende rappen oder sich gegenseitig bei ihren Solos unterstützen. Obwohl der lässige Style beider zusammenpasst wie Ying und Yang, sind von ihnen bisher nur zwei weitere gemeinsame Tracks auf YouTube zu finden (das aus der Anfangsphase des Duos stammende I speak Hip-Hop sowie ein Freestyle).
Dennoch muss man nicht auf Jazzy’s sympathisches Lispeln verzichten, schließlich gehört er auch zum Kreis von L’entourage, einem Kollektiv von Rappern, in deren Videos er regelmäßig zu hören und sehen ist. Dabei behauptet sich Jazzy Bazz mühelos neben erprobten Künstlern wie Alpha Wann, Eff Gee und Deen Burbigo, selbst wenn sein Beitrag wie im Song L'Introduction nur knapp 15 Sekunden beträgt. Hierbei fällt auf, dass Jazzy bei L’entourage bezüglich der Härte seiner Texte einen Gang höher schaltet. Dies wirkt weder gezwungen noch aufgesetzt, sondern spiegelt vielmehr seine Vielseitigkeit wieder. Sätze wie ,,ich habe nicht auf Facebook gewartet, um auf Wände zu schreiben‘‘ überzeugen und lassen die Zuhörer auf seine Erfahrungen in der illegalen Graffiti-Szene schließen. Solche Informationen über Jazzy Bazz sind rar wie die Interviews mit ihm, bisher gibt es davon nur eine Handvoll im Netz. Zwar macht sich der Mann die modernen Kommunikationsplattformen wie Facebook und Twitter zunutze, verrät dabei kaum etwas Persönliches über sich. Das meiste über ihn erfährt man ohnehin aus seinen Texten oder Battles (sein Vorname Ivan wäre wahrscheinlich noch immer nicht bekannt, hätte ihn Wojtek im Battle nicht publik gemacht). Das gibt seiner Person etwas Geheimnisvolles und macht ihn letzten Endes umso interessenter. Ob es sich bei so viel Geheimnistuerei um eine Marketingstrategie oder um den Versuch handelt, in unserem digitalen Zeitalter ein Stück Privatsphäre zu bewahren, bleibt offen.
Vielleicht lohnt es sich auch nicht, den Mann am Mikrofon genauer kennenlernen? Zu oft schließen wir aus den Fähigkeiten von Künstlern auf eine vereinnahmende und überdurchschnittliche Persönlichkeit, auf die wir unsere Wünsche und Ideale projizieren, nur um beim Treffen von Angesicht zu Angesicht festzustellen, dass auch sie nur mit Wasser kochen. Jazzy Bazz ist so klug und lässt solche Erwartungen an seine Person gar nicht erst entsthen: ,,Die Leute finden mich bewundernswert, dabei bin ich nur ein Stück Scheiße‘‘ lautet die selbstkritische Aussage des Ausnahmekünstlers auf seinem Song Ce putain de Jazz, der auf seinem im Juli 2012 erschienen Soloprojekt Sur la route de 3.14. zu finden ist. Die 9 Tracks umfassende EP, ein (fast) perfekter Wurf, weiß vor allem durch seinen Facettenreichtum zu begeistern. So reicht das Spektrum von harten Raps auf Old-School Beats (wie bei 64 Mesures de Spleen) bis hin zu poetischen und nachdenklichen Texten (siehe Dans ma tête). Eine Besonderheit: Das Album wird umsonst zum Download angeboten, selten gab es so viel Qualität für umsonst. Dieser nicht-kommerzielle Aspekt verdient Hochachtung, schließlich ist die Aufnahme eines Albums sowohl in künstlerischer als auch in finanzieller Hinsicht ein Kraftakt. Der Bereitschaft seiner Fangemeinde, für ein eventuelles Album in die Tasche zu greifen, scheint sich Jazzy Bazz zumindest auf 64 Mesures de Spleen ziemlich sicher zu sein (,,wenn ich ein Album rausbringe, wirst du deine Kohle ausgeben‘‘).
Jazzy Bazz, der selbstbewusste junge Mann aus der französischen Hauptstadt, ist das das ist das Gesicht einer Bewegung, die auf dem Weg zum Erfolg geduldig vorgeht und die ausgetretenen Pfade des frankophonen Hip-Hop verlässt. Begleitet werden die Künstler am Mikrophon von nicht minder talentierten Studiotechnikern und Videokünstlern, die ihre Protagonisten gekonnt in Szene setzen. Wer auf die deutsche Szene schaut, wird vergebens ein ebenbürtiges Pendant suchen und bestenfalls maskentragende (Sido), boulevardtaugliche (Bushido) oder überschätzte (Casper) Möchtegerns vorfinden. Fazit: Noch nie war ich so glücklich, im Französischunterricht aufgepasst zu haben.