Die Sonne, auf Deutsch mit französischen Untertiteln, Stück und Inszenierung von Olivier Py für die Volksbühne
Von Sarah Bogatay
Übersetzung: Ida Maria Smentek
Bilder: Thomas Aurin
Axel ist in Josephs Bett eingeschlafen. Er trägt immer noch sein Kostüm des Gottes Pan. Abend im Theater, während er sich in der Garderobe schminkte, biss er den Intendanten. Dieser fand das Stück nicht politisch genug. Als er ihn bat, näher zu kommen, nutzte er die Gelegenheit um ihm ein Stück vom Ohr abzureißen: „Ist das politisch genug oder wollen Sie, dass ich Ihnen ein Auge aussteche?“
Am Rosa-Luxemburg-Platz ist die Nacht schon lange hereingebrochen, doch auf den Brettern der Volksbühne wird eine andere Sonne aufgehen. Der französische Autor und Regisseur Olivier Py präsentiert sein Stück Die Sonne (Le Soleil): Eine Reflexion über das Theater, die wie eine Selbstbeobachtung erscheint.
Theater im Theater
Seit Axel der Truppe von Joseph beigetreten ist, beten ihn alle Schauspieler an. Er verkörpert alle Leidenschaften und glänzt durch sein Feuer und seine Jugend. Fasziniert und angezogen von dieser flammenden Persönlichkeit, kreisen die Mitglieder der Truppe um ihn. Mathias widmet ihm einen makaberen Kult während Charly sich verkleidet und tanzt, um ihn zu verführen. Allein der vernünftige und ernste Autor Joseph, sein Rivale in der Liebe wie in der Poesie, erliegt dem brennenden Charme des jungen Mannes nicht. Beide teilen sich die Liebe Sentas, Josephs Verlobter. Sie erwartet ein Kind, dessen Vater auch Axel sein könnte. Was diesen allerdings nicht davon abhält, Josephs Mutter heiraten zu wollen. Aber es ist vor allem ihre Auffassung des Theaters, welche den Autor und den Schauspieler einander feindlich gegenüberstellt. Joseph versteht das Theater als Instrument wohingegen Alex es als Selbstzweck betrachtet. In einer niemals endenden Dialektik stehen sich zwei Visionen gegenüber: Die des apollinischen Theaters, rationell, engagier und hoch politisch gegen jene des dionysische Theater, inspiriert, sinnlich, das über den Verstand geht und keine Grenzen kennt. Eine Vorstellung, die Olivier Py mit dem Hauptcharakter seines Stückes gemein hat.
Durch seinen Stil und seine Inszenierung versucht Py seine mediterrane Vision des Theaters zu teilen: „ein Theater, das die Lust und die Freude feiert“.Diesem erträumten Mittelmeerraum, in dem das Verhältnis zur Freude ohne Hemmungen wäre, stellt Olivier Py seine Vorstellung eines strengen, in sich gekehrten Deutschlands gegenüber, das Angst vor Gefühlsausbrüchen hat. „Deutschland ist das eines Verbots, das Verbot der poetischen Lyrik.“ So sind es in Die Sonne, der Norden und der Süden, die mit einander rivalisieren. Joseph wäre also der Archetyp des gewissenhaften, gründlichen und methodischen Deutschen, während Alex diese angenehme Seite des Lebens und die mediterrane Leichtigkeit verkörpert.
Der Lauf der Jahreszeiten
Diese Gegenüberstellung entwickelt über das ganze Stück hinweg. Die Schauspieler durchlaufen einen Zyklus, ähnlich dem der Jahreszeiten. Schließlich reißt Alex das Stück an sich, um ihm einen neuen Hauch von Freiheit einzuflößen. Doch von plötzlichen Zweifeln befallen, stellt das Genie alle seine Überzeugungen hinsichtlich des Theaters in Frage und verliert das Feuer, das ihn belebte.
Wird er eines Tages seinen Glanz wiederfinden oder ist das Feuer, das in ihm wohnte, für immer verloschen?
Geschlagen und deprimiert bleibt Joseph bei seinem Schützling und verlässt das Theater um sich um ihn zu kümmern. Die Rivalität, die Autor und Schauspieler einander gegenüberstellte verwandelt sich nun in Liebe.
Die Sonne hat sich verdunkelt, um dem Winter Platz zu machen. Die Mitglieder der Truppe haben ihr Idol verlassen, um mit einem anderen Stück den Erfolg zu finden. Axel ist von seinem Sockel gefallen. Er hat seine Inspiration verloren, vergräbt sich in Schweigen und versinkt in Depression.
Am tiefsten Punkt der Verzweiflung jedoch, als sie versuchen ihrem Leben ein Ende zu setzen, werden beide Männer erneut vom Theater erfasst, das sie zu sich zurückruft. Axel findet seine Sprache in einem langen Schlussmonologe zurück. Und der Phönix wird schließlich aus seiner Asche wiedergeboren – durch eine Ode an die Hoffnung und an den Frühling, der die Rückkehr der schönen Tage verkündet … und die der Sonne. Für Olivier Py, wie für seinen Helden, ist es das Scheitern einer Verzweiflung. Man kann den poetischen Ausdruck nicht zurückhalten.
Dekadenz und Maßlosigkeit eines Theater des Exzess
Wozu dient Theater und wie soll man der Ungewissheit trotzen: das sind zusammengefasst die zwei wesentlichen Themen, die sich in diesem komplexen und verwickelten Stück abzeichnen. Aber in der Tradition des barocken Theaters, das zu beerben er für sich beansprucht, bevorzugt Olivier Py die Vielschichtigkeit gegenüber der Einfachheit. Durch einen literarischen und gehobenen Stil, mit unzähligen mythologischen und biblischen Verweisen, strebt Olivier Py die Virtuosität an. Die überladene Inszenierung lenkt den Zuschauer mehr ab als dass sie dem Verständnis des Stücks nützt, auch wenn der Mechanismus der Drehbühne die Idee des Kreislaufes sehr gut unterstreicht. Abgesehen von der Reflexion über das Theater und die Kunst als vitale Kräfte, quillt Die Sonne von Symbolen über, die Mystik und Erotik mit einander vermischen. Man kann sich keinen Reim darauf machen!
Autor, Schauspieler, Theater- und Opernregisseur, immer noch Intendant des Théâtre national de l´Odéon – Théâtre de l´Europe und zukünftiger Leiter des Festival d´Avignon: Olivier Py ist eine Schlüsselfigur der zeitgenössischen französischen Szene. Vor kurzem wurde er vom deutschen Magazin Opernwelt für seine Inszenierung der Oper „Die Hugenotten“ von Giacomo Meyerbeer am Théâtre Royal de la Monnaie in Brüssel ausgezeichnet.
Bekannt vor allem für seinen barocken und glühenden Stil, seine selbstbewusste Lyrik, seine schwülstigen Inszenierungen (La Servante – eine Geschichte ohne Ende – Gesamtlänge 24 Stunden, in ungekürzter Form auf dem Féstival d'Avignon 1995 gezeigt), sein politisches Engagement (Requiem pour Srebrenica- ein Stück von 1998, welches das Massaker in Bosnien bezeugt) und eine Vorliebe für die Provokation (seine ziemlich freie Adaption des Klassikers Roméo et Juliette von Shakespeares 2011), ist das französische Genie häufig Gegenstand von Kontroversen.
Die jüngste Auseinandersetzung datiert vom April letzen Jahres, als sein Ausschluss von der Spitze des Odeons bekannt gegeben wurde. Rein zufällig hatte Fréderic Mitterand, französischer Kultusminister und nebenbei Neffe des verstorbenen Präsidenten, nach Py´s Inszenierung des Stückes Adagio – Mitterrand, le secret et la mort (Adagio- Mitterand, das Geheimis und der Tod) bekanntgegeben, dass dessen Anstellung nicht verlängert werde. Infolge lebendiger Reaktionen aus kulturellen Kreisen, sah sich PY schließlich mit der Leitung des nächsten Féstival d´Avignon betraut.
Für seine letzte Saison am Odeon entschied sich Olivier Py also, mit Frank Castorf, dem Intendanten der Volksbühne,zusammenzuarbeiten, welcher momentan zusammen mit französischen Schauspielern La Dame aux camélias(Die Kameliendame) in Paris aufführt.
Die Sonnewird am 5. Februar zum letzen Mal an der Volksbühne gezeigt, bevor das Stück vom 7. März an, auf Deutsch mit französischen Untertiteln, im Odeon präsentiert wird.