Von Sofia González
Übersetzung Katja Schlangen
Foto 1,2 ©Guts for Change Tour, Foto 3,4 ©streetmag
Eine Radtour von Berlin nach Indien, eine Obdachlosenzeitung mit Lifestyle-Charakter, ein mobiles Raumsystem für Flüchtlinge in Krisengebieten, eine temporäre Skatehalle für Hamburg – klickt man sich durch Crowdfunding-Plattformen wie startnext oder visionbakery liegt einem eine ganze Bandbreite von unterschiedlichsten Projekten zu Füßen. Sie alle konkurrieren um die beliebte Schwarmfinanzierung. Die Erfolgsbilanz der Starter ist so unterschiedlich wie die Inhalte selbst. Einige Ideen erreichen schon in kürzester Zeit ihre Zielsumme, andere bleiben erfolglos. Alles nur Hype oder Zukunftsvision?
„Crowdfunding besitzt diese gewisse Brillianz, dass man für ein Projekt Geld sammelt oder investiert, das noch gar nicht existiert “, erklärt Erik Fährmann. Der 28-Jährige Berliner hat im Sommer 2012 gemeinsam mit vier Freunden ein außergewöhnliches Vorhaben mit Hilfe von Crowdfunding verwirklicht. „Starter und Supporter stellen sich gleichermaßen einer Ungewissheit, da es sich um eine Art Vorfinanzierung handelt und der Erfolg des Projekts zu Beginn nicht garantiert werden kann.“
Das Prinzip ist einfach: Innerhalb eines begrenzten Zeitraumes versuchen Projekt-Starter im Internet eine bestimmte Geldsumme für die Realisierung ihrer Ideen zu sammeln. Stößt diese in der Online-Gemeinschaft, der Crowd, auf großes Interesse und werden genügend Spenden gesammelt, wird das Projekt umgesetzt. Die Höhe des Unterstützerbetrags ist meist an eine Gegenleistung gekoppelt, die die Supporter bei erfolgreicher Finanzierung erhalten. Sollte die erforderliche Geldsumme innerhalb des angesetzten Zeitraumes nicht crowdgefundet werden, bekommen alle Unterstützer ihren Geldbetrag zurückerstattet.
Mit dem Fahrrad von Berlin nach Darewadi – in Indien
April 2012 am Brandenburger Tor in Berlin. Erik und drei seiner Projektkollegen schwingen sich auf die gut ausgerüsteten und bepackten Mountainbikes. Eine 10.000 Kilometer lange Reise liegt vor ihnen, die sie auf ihren Fahrrädern von Deutschland durch zehn Länder bis nach Indien führen wird. Mit der Tour möchte das Team von Guts for change auf die prekäre sanitäre Versorgung in Entwicklungsländern und speziell in Indien aufmerksam machen. Unhygienische Bedingungen, kein Zugang zu sauberem Trinkwasser und zu einfachster Sanitärversorgung betreffen dort mehr als 60% der Gesamtbevölkerung. Während ihrer Reise auf dem Fahrrad werden sie Spenden sammeln, um diese in ein humanitäres Hilfsprojekt zu investieren. 100 Trockentoiletten sollen in dem indischen Dorf Darewadi im Westen Indiens mit Hilfe der Spenden entstehen. Um eine Fahrradtour dieser Länge antreten zu können, bedarf es allerdings einer Menge Geld. Für die Ausrüstung, die Verpflegung, die Ausstattung mit Foto- und Filmkameras, das finanzielle Back-Up falls etwas zu Bruch gehen sollte – ca. 3 500 Euro haben Erik und sein Team für die Durchführung der Fahrradtour kalkuliert. „Wir haben nach Finanzierungsmöglichkeiten gesucht und Crowdfunding schien eine ganz attraktive Möglichkeit zu sein, schnell an Geld zu kommen.“
Im Zentrum der Crowdfunding-Kampagne stand ein Film, der die Tour dokumentarisch begleiten sollte. So wurden die Unterstützerbeiträge an den Erwerb von Eintrittskarten für einen Film gekoppelt, der noch nicht produziert war. Seinen Supportern den Zugang zu etwas Einzigartigem bieten zu können, sieht Erik als wichtiges Erfolgskriterium beim Crowdfunding: „Bei uns stand dieses soziale Event einer Filmpremiere im Zentrum, bei der am Ende nach geglücktem Projekt alle zusammenkommen und an den auf der Tour gewonnenen Erfahrungen teilhaben können.“
In intensiver Kommunikationsarbeit hat das Guts for Change Team während der Laufzeit ihrer Crowdfunding-Kampagne Werbung für das Projekt gemacht und gezielt in ihren Bekanntenkreisen kommuniziert. Über soziale Netzwerke wurde das Vorhaben vorgestellt und gestreut. „Du musst präzise deutlich machen für was du plötzlich 3 500 Euro brauchst und auch auf ein relativ großes Netzwerk zurückgreifen können.“ Ein hoher Zeitaufwand und viel Engagement seitens der Starter sind dabei gefragt. Das Potenzial für ein langfristiges Finanzierungsmodell sieht Erik deshalb kritisch: „Um eine Anschubfinanzierung für Projekte zu bekommen, ist Crowdfunding ideal. Aber darüber ständige seine Einkommensströme zu sichern ist einfach zu anstrengend.“
Ein Straßenmagazin mit Lifestyle-Charakter
Die Chance ihr Projekt auf einen finanziellen Sockel zu stellen, sehen auch Marija Stojanovic und Guido Gleinser vom Team des Urban Art & Street Magazins streem in der Schwarmfinanzierung. Das streem ist ein Lifestyle-Magazin im Raum Berlin, welches allerdings ausschließlich bei Obdachlosen und bedürftigen Menschen erworben werden kann. Vom Prinzip eigentlich eine klassische Straßenzeitung, aber trotzdem ganz anders. Modernes Design, Interviews mit Musikkünstlern und Prominenten, Fotografien, Illustrationen oder Comics überziehen großflächig ganze Doppelseiten. Ob man sich in der Kunst- oder Autorenwelt schon einen Namen gemacht hat, spielt dabei überhaupt keine Rolle. Jeder kann seine Beiträge einreichen und wird vielleicht schon für die nächste Ausgabe ausgewählt. Eine Plattform für Künstler in Berlin und gleichzeitig eine beständige Einnahmequelle für Obdachlose und mittellose Menschen zu bieten, das ist der Grundgedanke des Lifestyle-Magazins. Der Erlös geht zu 100% an die Verkäufer. Langfristig einen Image-Wandel des Genres Straßenzeitung herbeizuführen, wäre ein grundlegender Wunsch des streem Teams.
Hangeln von Ausgabe zu Ausgabe
Seit 2009 erscheint das Straßenmagazin in unregelmäßigen Abständen alle drei bis sechs Monate. Die Produktion einer Zeitung ist mit hohen Kosten verbunden, aber auf klassische Finanzierungsstrategien wie das Anzeigengeschäft kann sich das Organisationsteam bislang nicht verlassen. Viel zu festgefahren und mit negativen Ressentiments behaftet ist das Image von Obdachlosenzeitungen – klassische Konsummarken fürchten um ihr Ansehen, zweifeln aber auch gleichzeitig an ihrer Akzeptanz bei den Verkäufern, da ihre beworbenen Edelprodukte zu sehr in Kontrast mit Lebensalltag und Einstellung der Obdachlosen stehen könnten.
Die Finanzierung der ersten Ausgaben des streem wurde mit großer Unterstützung der Künstlervereinigung genius art corp e.V. im Rahmen von Charity-Veranstaltungen gestemmt. Gemeinsam mit FluxFM Berlin, dem offiziellen Partner des streem, entstand die Idee durch eine Crowdfunding-Aktion etwas mehr Kontinuität in die Produktion des Straßenmagazins zu bringen. „Die Grundfrage war: Wie können wir das Projekt langfristig, zumindest schon einmal für ein Jahr, finanzieren?“, erklärt Guido von streem. „Die Zeitung in sehr unregelmäßigen Abständen zu veröffentlichen ist nicht nur blöd für uns und alle Helfer und Mitarbeiter, sondern vor allem auch für die Verkäufer, die sich so natürlich nicht auf einen festen Nebenverdienst verlassen können.“
20 000 Euro strebt die aktuellen Crowdfunding-Kampagne, die seit November auf visionbakery läuft, an. Genauso viel, um vier Ausgaben des streem Magazins innerhalb eines Jahres zu veröffentlichen. Ähnlich wie das Guts for Change Team ist für streem wichtig, ihren Supportern attraktive Gegenleistungen für die Unterstützung zu bieten und ein gemeinsames Event in Aussicht zu stellen – ein Release-Konzert. Die Vision und den Geist des Magazins mit dem Crowdfunding zu vereinen, gestaltet sich laut Guido dabei nicht immer ganz reibungslos: „Wir wollen uns eigentlich auf die Inhalte konzentrieren und nicht so sehr darauf, uns in den Medien zu präsentieren. Wir wollen das sein, was wir sind – und zwar ein cooles Straßenmagazin und das Crowdfunding ist dabei eher Mittel zum Zweck.“
Wie gut die Projektidee von Marija und ihren streem Kollegen funktioniert zeigt die Bilanz der letzten Jahre. Die Auflagen von jeweils 20 000 Exemplaren waren stets schneller vergriffen als das Redaktionsteam die nächste Ausgabe nachliefern konnte. Der Kampf für die Finanzierung jeder neuen Ausgabe des Magazins macht allerdings deutlich, dass gerade im Verlagsgeschäft auch bei hoher Nachfrage ohne wirtschaftliche Basis kein langfristiges Überleben möglich ist. Einen Image-Wechsel der Straßenzeitung herbeizurufen und so das Anzeigengeschäft auch für konventionelle Anzeigenkunden attraktiv zu machen, wie es das streem Magazin vorlebt, wäre also langfristig ohne Alternative.
„Anarcho-Journalismus“
In Deutschland ist startnext führende Crowdfunding-Community. Seit ihrer Gründung im Jahr 2010 investierte die Crowd hier rund 8 Millionen Euro , 1370 Projekten konnten dadurch realisiert werden. Gerade für krisengebeutelte Branchen wie den Journalismus birgt die Schwarmfinanzierung Alternativen zu traditionelle Finanzierungsstrategien. Kleine Verlage sterben aus, Tagesszeitungen verzeichnen eine rückläufige, zum Online-Journalismus gekehrte Leserschaft und von einer Festanstellung als Journalist kann man heute eigentlich nur noch träumen. Crowdfunding bietet auf dieser finanziellen Durststrecke im Journalismus einen Freiraum, den sich manche zu Nutzen gemacht haben. Der Journalist und Gründer von krautreporter.de Sebastian Esser fasst diese neue Entwicklung auf seinem blog zusammen: „Unabhängig finanzierter Projekt-Journalismus ohne starke Institutionen wie Verlage, Stiftungen und Mäzene, Türsteher und Vorkoster. Wir brauchen mehr Anarcho-Journalismus“. Die Webseite krautreporter.de bietet sozusagen eine branchenspezifische Crowdfunding-Plattform für journalistische Projekte. Auch große Zeitungen wie die taz machen bereits Gebrauch von der Schwarmfinanzierung für ihre Regionalbeilage Kontext oder die Online-Serie berlinfolgen. Ein prominentes Beispiel eines erfolgreich über startnext finanzierten Buchprojektes lieferte der SZ-Redakteur und suhrkamp-Autor Dirk von Gehlen, der innerhalb weniger Tage bereits mehrere Tausend Euro für sein neues Buch Eine neue Version ist verfügbar sammelte. Der Prominenzbonus seiner Person für den Erfolg seines Projekts ist dabei natürlich nicht zu vernachlässigen. Nichtsdestotrotz zeigt dieses Aufkommen verschiedener Plattformen und die Spendenbereitschaft der Crowd, dass ein Bedarf nach neuen Wegen, nach einer Vision, die man teilen kann und die man gemeinsam beschreiten kann, ob nun als Macher oder nur Begleiter, vorhanden ist.
„Am wichtigsten ist der ideelle Wert, eine Vision, die man teilen kann. Irgendwo hinzureisen, wo man noch nie war und dort ein Projekt umzusetzen. Das ist etwas, was sich viele vorstellen können selbst zu machen, aber vielleicht haben sie nicht die Zeit oder auch den Mut“, sagt Erik Fährmann. Er und das Guts for Change Team haben die angesetzten 3 500 Euro mit einer gesammelten Summe von 4 142 Euro deutlich übertroffen. Auf dem Weg von Deutschland nach Indien konnten 15 000 Euro Spenden für das Trockentoilettenprojekt gesammelt werden. Mit ihrem Film, der durch das Crowdfunding finanziert wurde, ist das Guts for Change Team nun auf Tour durch Deutschland. So kann nun auch jeder Supporter seinen ganz eigenen Blick auf das Projekt gewinnen – so als wäre man dabei gewesen.
Die Crowdfunding-Kampagne für das Straßenmagazin streem läuft noch bis Ende Januar. Wer dieses Projekt unterstützen möchte, hat hier noch bis 16. Februar die Möglichkeit dazu: http://www.visionbakery.com/streem