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100 % Humanoid - ARTEs neue Robot-Serie: eine gruselige Vision über die Gesellschaft von Morgen |
Fortgeschrittene Robotertechnik |
Von Madlen Stange
Foto © ARTE France; © Aldebaran Robotics
Ein bisschen erschrocken war ich schon, als die Stimme auf der anderen Seite zu mir sagte, „Die Anleitung zum Neustart ihres Hubots können Sie auf unserer Webseite downloaden“ - „Aha, aber was mache ich wenn es nicht klappt und er immer noch keine Kaffeetasse halten kann?“ Die Stimme sagte „Dann können Sie ihn gern umtauschen, wir haben das Modell noch auf Lager“.
Was stark nach Science-Fiction klingt, war ein reales Telefonat, was ich vergangene Woche mit Jonas Boberg führte, dem technischen Support des ARTE-Hubot-Marktes, einem schillernden Online-Shop, der 200 Modelle humanoider Roboter zum Kauf anbietet, inklusive stolzer Kundenrezensionen. Was soll das?
Der „Hubot-Market“ ist allerdings nur eine gekonnte virale Marketingkampagne im Web 2.0, die vondem deutsch-französischen Kultursender zum Serienstart der Serie „Real Humans – 100% Mensch“ ins Leben gerufen wurde. Eine Unterhaltung, die uns in der Tat auf einen schmalen Pfad an der Grenze zwischen Realität und Fiktion führt. Danke ARTE!
Real sind zunächst nur die 20 Doppelfolgen, die immer donnerstags ausgestrahlt werden. Real ist auch der Arte-Zuschauerrekord von 1,3 Millionen nach den ersten zwei Episoden. Programmchef Vincent Meslet resümiert in einem Interview, „Wir wollten Arte-Zuschauern eine innovative Serie bieten, waren uns aber des Risikos bewusst“. Die Thematik der schwedischen Produktion liegt im Crossover zwischen Sci-Fi, Drama und Serienthriller. Produzent Lars Lundström, der unter anderem durch die Krimiserie Mankells Wallander bekannt ist, entwirft ein fiktives Szenario in einer anderen Realität: Hochentwickelte humanoide Androide, Hubots genannt, sind in nahezu allen menschlichen Lebensbereichen präsent: Als Kellner/in, Altenpfleger/in, Bauarbeiter, Empfangs- und Hausdame, sogar als Lebensgefährten haben die Hubots nicht nur den Alltag, sondern auch die Emotionen vieler Menschen erobert.
Irgendwie ist es nicht neu, denkt man sich da - ein klassisches Herr-Knecht-Verhältnis zwischen Mensch und Maschine im Serienformat, das reiht sich doch bloß ein in die Chronologie bisheriger Robo-Serien wie Night Rider und Kampstern-Galaktica oder dem Kino-Hit Matrix .Von jenen Unterhaltungsformaten lässt man sich gern faszinieren und in eine Welt entführen, wo komplexe Maschinen eigene Kräfte entwickeln und es wagen, das menschliche Geschlecht in Frage zu stellen, es zu bekämpfen, womöglich zu übertrumpfen. Doch Real-Humans ist ein bisschen anders. Und deswegen läuft es auch beim Kuriositätensender ARTE. Und genau das ist gruselig.
Vor allem ist es die Welt, in welche der Produzent sein Robo-drama gesetzt hat, die gruselt. Es ist unsere Welt. Eine Parallelwelt irgendwo im heutigen Schweden. Lundström sagt in einem Interview mit Zeit-online: „Die Zuschauer sollten die Welt als die Ihre wiedererkennen. Daher haben wir auch die Roboter nicht per Special Effects dargestellt, sondern lassen sie von Schauspielern verkörpern. Es ging uns um die Beziehung zwischen Mensch und Roboter.“ Und genau hierin liegt das Novum der Serie. Das, was in „Äkta Människor“ als fiktive nächste Stufe einer sozialen und elektronischen (R)Evolution postmoderner Gesellschaften dargestellt wird, ist auch eine Skizze neuer Formen sozialen Miteinanders, einer neuen Gesellschaftskultur.
Synopsis
Die Handlung spielt in Schweden, in einem unbestimmten Vorort. Eine bekannte Kameraeinstellung erinnert stark an das Bild der Wisteria Lane im amerikanischen Serienhit Desperate Housewifes. Das ist auch von Lundström gewollt. Seine Protagonisten sind ebenso verschieden. Da ist Roger, Fabrikarbeiter und konservativer Hubot-Gegner, dessen Lebensgefährtin sich kürzlich entschied mit dem Haus-Hubot durchzubrennen. Gegenüber lebt die moderne Vorzeigefamilie Engman mit ihren drei Kindern Mathilda, Tobias und Sofia, und der attraktiven Hubot-Dame Anita. Sie ist programmiert als ein gezähmtes Modell, abhängig von seinem Besitzer. Was die Familie nicht weiß, Anita gehört zu den Kindern Davids, die auch die Wilden genannt werden. Programmiert vom Wissenschaftler David Einscher, der einen speziellen Programmcode für humanoide Androiden entwickelte, haben sie eine Persönlichkeit, ein Gedächtnis, Eigenwillen und spüren Schmerz. Ähnlich dem Engel Damiel in Wim Wenders' Himmel über Berlin, sehnen sich auch Lundströms unsterbliche Robo-Maschinen nach menschlichem Gefühl. Dies lässt sie schließlich auch um ihre Selbstbestimmung und Individualität kämpfen.
Lars Lundström, der normalerweise keine Sci-Fi-Serien produziert, fädelt seine Figuren detailgetreu in den sozialen Kontext einer postmodernen Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Zentral sind vor allem soziale Folgen immerwährender Technisierung. Konkurrenzkämpfe auf dem Arbeitsmarkt, eine alternde Gesellschaft, Schwarzmarkthandel, Sexualisierung und Prostitution bekommen durch die Robotergeneration lediglich neue Facetten.
Systemfehler – Fiktives und Reales
Sicherlich findet man in Real Humans auch Kapitalismuskritik. Hubots sind Produkte in Menschengestalt. Sie werden wie Autos und Mobiltelefone vermarktet, recycelt, verschrottet. Ihre Besitzer trauern um sie, sobald die Geräte den Geist aufgeben. Dann kaufen sie einen Neuen. Die Verwertungskette kann aber auch über den Schwarzmarkt führen. Und wer weiß schon, woher sein Mobiltelefon wirklich kommt? So sind es die Bastler im Verborgenen, die Programmierer und die Hacker, die in Real Humans als neue Piraten der digitalen Ära eine Schlüsselposition einnehmen. Sie verfügen über Macht und Wissen, die versklavten Hubots zu befreien, indem sie diese mit Hilfe des richtigen Programms modifizieren, ihnen quasi eine Persönlichkeit aufspielen. Das ist Fiktion. Aber die Macht der Programmierer über den globalen Weltmarkt ist wiederum mehr als real, denkt man an die jüngsten Aktionen von Anonymus, oder die Plattform Wiki-Leaks, den italienischen Blogger Beppe Grillo oder die occupy-Bewegungen, die sich der Funktionslogik des kapitalisierten Gesellschaftssystems entgegenstellen. Wichtig ist die Frage, nach Verantwortung und einem richtigen Umgang mit Wissen und den neuen Dynamiken, die durch technische Vernetzung der Welt möglich sind.
Sehr verwirrend – und in wahrstem Sinne relativistisch, postmodern ist denn auch die Perspektive, die die Serie grundsätzlich auf soziale Beziehungen und menschliche Gefühle wirft. Beispielsweise: Mutter Inga Enelman ist Anwältin und verweigert zunächst Hubots im eigenen Haushalt. Nach kurzer Probephase ist sie denn auch überzeugt und will dem Luxus nicht mehr entsagen, den Haus-Hubot Anita mit sich bringt. Als ihre Freundin dann eine Affäre mit einem Hubot beginnt, kämpft sie schließlich vor Gericht für öffentliche Akzeptanz von Mensch – Hubot Beziehungen.
Anders der Verein „Äkta Människor“. Was soviel heißt wie „Achtung nur echte Menschen“ ist in Real Humans eine organisierte Vereinigung, die politischen Widerstand leistet und gegen die Eingliederung des „Homo technicus“ in die Gesellschaftskultur vorgeht. Denn die Robots sorgen für Arbeitsplatzmangel. Auch wird auch der Einsatz von Robotern in der Altenpflege thematisiert.