Von Alain Le Treut
Übersetzung: Hanna Gieffers
Illustration: Johann Zyla
Seit nun fast 40 Jahren träumt Frankeich von der zivilen Nutzung der Kernenergie als Schlüsselstein für seine Energieunabhängigkeit. Doch nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima wird gegen das Schicksal dieser Energie ein erbitterter Kampf geführt. 75,6 Prozent der Elektrizität in Frankreich wird aus Atomenergie gewonnen.
Durch ihren geringen CO2-Ausstoß macht diese Form der Energiegewinnung eine gute Figur bei internationalen Klimaabkommen.
Jedoch ist es unmöglich, die Frage nach der Wiederaufbereitung des Atommülls oder das Risiko einer Nutzung der Technologie zu militärischen Zwecken auszublenden. Diese Kritik findet besonders in Deutschland starken Widerhall.
„Atomkraft? Nein Danke“
Rund um diese einfache Botschaft und um das Zeichen einer roten Sonne auf gelben Grund hat sich die Anti-Atomkraftbewegung in Deutschland versammelt. Die rote Sonne ist überall: als Wahrzeichen auf Demonstrationen, als Sticker auf den Straßen, als Fahne in Wohngemeinschaften, als Button auf den Jacken von Politikern oder auch als Zeichen auf Profilbildern in sozialen Netzwerken.
Das Symbol der roten Sonne wurde Anfang der 70er Jahre in Dänemark von einer Organisation, die über Kernenergie informiert, aus der Taufe gehoben. Eine gewisse Ironie steckt dahinter: auch wenn Sonnenergie auf lange Sicht ein Hoffnungsträger für die Entwicklung von erneuerbaren Energien ist, böse Zungen erinnern gerne daran, dass die Sonne permanent Kernfusionen erzeugt.
Die Protestbewegung gegen Kernenergie in Deutschland ist gewaltig. Zu erwähnen ist jedoch, dass 2011 22,6 Prozent des deutschen Stroms aus Atomenergie hergestellt wurde. Auch wenn dies im Vergleich zu Frankreich einen geringen Anteil darstellt, steckt hinter dieser Zahl eine große Menge an produzierter Energie.
Für einen Franzosen, der in Deutschland lebt, wirft die deutsche Haltung zur Atomenergie, die so anders ist, als die im eigenen Land, viele Fragen zum Ursprung dieser Bewegungen auf.
Wer hat sie angeführt? Spielen die Anti-Atomkraftbewegungen eine bestimmte wirtschaftliche Rolle? Wie werden sie finanziell unterstützt?
Und vor allem stellt sich die Frage, warum die Debatte so stark auf die Atomenergie fokussiert wird, anstatt allgemein über andere Energiegewinnungsformen zu diskutieren. 2011 wurden 42 Prozent der Elektrizität in Deutschland durch Kohlekraftwerke hergestellt - was sind die Auswirkungen dieser Form der Energiegewinnung auf die Erderwärmung?
Die Proteste gegen die Atomenergie ist der Anfang einer der größten politischen Diskussionen in Deutschland gewesen. Der Umweltschutz hat darin die Hauptrolle eingenommen und sogar den Koalitionsvertrag im Bundestag durcheinander gebracht.
Ein erster Atomausstieg bis zum Jahr 2020 wurde von der Regierung Gerhard Schröder im Jahr 2001 beschlossen. Doch 2010 wurde dieser Plan zum Atomausstieg bis 2038 verlängert. Als die Wolke aus Fukushima um die Welt ging, hat die Regierung von Angela Merkel die Schäden des „Ausstiegs aus dem Ausstieg“ bis in ihre Wählerschaft gespürt und den Atomausstieg auf das Jahr 2022 zurückgesetzt.
Frankreich und seine Atompolitik
In Frankreich, wo – wie jeder weiß – die radioaktiven Wolken an der Grenze halt machen, sind die Diskussionen über die Atomenergie in der öffentlichen Debatte sehr viel schwächer. Die Französischen Regierungschefs haben während der ersten Ölkrise in den 70er Jahren den massiven Ausbau der Atomenergie beschlossen.
Diese Energiepolitik wurde auch von den anschließenden Regierungen verfolgt, die französische Energieunabhängigkeit predigend.
Interessanterweise ist der Mangel an einer tiefgründigen Debatte eine Gemeinsamkeit, durch die sich die sonst so unterschiedlichen deutschen und französischen Situationen annähern.
Dass die Franzosen keine starke Meinung zur kniffeligen Frage der Atomenergie haben, lässt sich in erster Linie darauf zurückführen, dass die französischen Medien indirekt durch ihre Werbeabhängigkeit Mundtot gemacht wurden.
Da wäre zum Beispiel das Missgeschick, dass der französischen Zeitung la Tribune passierte. Nach Veröffentlichung eines Artikels über den Atomreaktor in Flammanville wurden ihr vom größten französischen Elektrizitätshersteller (EDF) Werbeaufträge im Wert von mehreren Zehntausend Euro entzogen. Die französische Energieversorgungsfirma hatte 2010 alleine für 118 Millionen Euro Werbeflächen in den Medien gekauft, davon 33 Millionen alleine in der Presse. Eine Summe, die es dem Unternehmen ermöglicht, Druck auf die großen Zeitungen auszuüben und ihren Einfluss in der öffentlichen Debatte spielen zu lassen.
Gleichwohl in diesem Kontext haben die deutschen, aber auch die belgischen, die schweizer und italienischen Nachbarn ihre Pläne zum Atomausstieg wieder auf die Tagesordnung gebracht.
Atomausstieg: Mythen und Realität
Die Deutschen haben einen schrittweisen Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschlossen. Für die Wirtschaft und die Umwelt wird dies schwerwiegende Folgen haben. Für Deutschland wird es schwierig werden, gleichzeitig in diesem schnellen Tempo aus der Atomenergie auszusteigen und weiterhin ihre angestrebten Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen zu verfolgen.
Um dies zu erreichen setzt das Land auf erneuerbare Energien: bis 2020 soll ihr Anteil an der Energieproduktion von heutigen 20 Prozent auf fast 50 Prozent steigen.
Besonders auf Windräder wird gebaut: sie sollen 2020 ein Viertel der Elektrizitätsproduktion in Deutschland übernehmen. Deutschland investiert deshalb in Offshore-Windparks an der Küste der Nordsee.
Photovoltaik-Anlagen (Sonnenenergie) oder auch Wasserkraftenergie werden auf Grund der Wetterbedingungen in Deutschland und seiner geografischen Lage weniger stark gefördert. Jedoch setzten die Deutschen stark auf die Entwicklungen von Biomasse als Energiequelle, durch dessen Verbrennung Energie entsteht.
Ein weiterer Schlüssel der Veränderungen besteht darin, Energie zu sparen. Etwa durch die Modernisierung der Industrie oder durch Veränderungen von Gewohnheiten im alltäglichen Energieverbrauch. So wird der Preisanstieg für Elektrizität dazu führen, dass privaten Haushalte stärker auf ihren Stromverbrauch achten.
Durchschnittlich verbraucht ein Deutscher heute 970 Kilowattstunden, ein Franzose 1230, was einen Unterschied von 27 Prozent ausmacht.
Dieser Umstieg/Ausstieg wird sich schwer gestalten: er ist eine riskante Wette.
Wenn der stärkere Einsatz der erneuerbaren Energiequellen den Energiebedarf der deutschen Industrie nicht stillen kann, bliebe Deutschland nichts anderes übrig, als massiv auf Kohlekraftwerke zurückzugreifen. Dies würde wiederum den CO2-Ausstoß erhöhen. Doch die deutsche Regierung hat versprochen, sie um 40 Prozent im Vergleich zu 1995 zu verringern.
Man kann sich nur freuen über die Herausforderung, die Deutschland in Zeiten eines wirtschaftlichen Sparkurs mit dem Wechsel zu erneuerbaren Energiequellen eingegangen ist. Es wäre schade, wenn diese außergewöhnliche Situation nicht mit einer intensiven Debatte begleitet werden würde, dies würde einen Nachgeschmack von Opportunismus hinterlassen. Nach Fukushima würde die CDU also eine Koalition mit den Grünen versuchen, um im Bundestag an der Macht zu bleiben.
Merkels Deutschland hat schon einmal 2010 den von Schröder geplanten Atomausstieg verschoben, kann man da nicht einen abermaligen „Ausstieg aus dem Ausstieg“ befürchten?
Es stellt sich zuletzt die Frage nach der Transparenz. Gibt es verlässliche, öffentliche Kennzahlen, um die Entwicklung dieser Energierevolution zu verfolgen, welche Deutschland ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit rücken wird?
Quellen:
Bernard Laponche, Bericht über den Energieverbrauch in Deutschland und Frankreich des Vereins Global Chance, 18. Mai 2011 (auf Französisch).
http://www.global-chance.org/IMG/pdf/Laponche_AllFr13_02juin2011.pdf
Reinhart W. Wettmann, „Der Atomausstieg in Deutschland“, Friedrich Ebert Stiftung, Büro Paris, August 2011, (auf Französisch).
http://library.fes.de/pdf-files/bueros/paris/08445.pdf
EDF, die Zeitung ‚la Tribune‘ und die Werbung“, Observatoire de la publicité, 17. November 2011, (auf Französisch).
http://observatoiredelapublicite.fr/2011/11/17/edf-la-tribune-et-la-publicite/