Von Isha Dalaya
Übersetzung von Sina Stach
Der 15. Mai 2011 ist zur Geburtsstunde der Empörten geworden. Damals hatte die Bewegung, die sich zum ersten Mal in Madrid versammelte, ohne jeden Zweifel noch keine Ahnung darüber, wie sich die Dinge entwickeln würden. Ihre Forderungen sind zunächst noch lokal. Kurz vor den Kommunal- und Regionalwahlen kündigen sie harte Sparmaßnahmen an, welche die schon von massiver Arbeitslosigkeit gebeutelten jungen Spanier zusätzlich treffen. Ermüdet von der nicht enden wollenden Wirtschaftskrise und gegen Bankern revoltierend fordern die Aktivisten eine wirkliche Demokratie. Dank der Sozialen Netzwerke breitet sich die Bewegung in ganz Spanien aus. Der Funke springt über und es kommt zu einer Kettenreaktion. In Länder wie Frankreich, Belgien, Deutschland, Griechenland und selbst Israel werden während des Sommers 2011 Zelte aufgeschlagen. Schließlich sind es jedoch die Amerikaner, die der ganzen Bewegung eine globale Dimension verleihen, als sie sich Mitte September mit ihren Zelten im Zuccotti Park niederlassen, den sie zugleich in „Platz der Freiheit“ umbenennen und wo sie gegen das kapitalistische System der USA demonstrieren. Occupy Wall Street ist geboren. „We are the 99%“, so ihr Slogan: Wir repräsentieren die Mehrheit der Weltbevölkerung gegenüber dem einen Prozent, der allen Reichtum für sich beansprucht. Trotz der gewalttätigen Repressionen der Polizei, der Versammlungsverbote, der zahlreichen Zerschlagungen des Camps und trotz der überwiegend kritischen Gesinnung von Medien und Staatsgewalt, ist die Bewegung immer noch am Leben, was sie gerade erst durch ihren zweiten großen weltweiten Aktionstag am 15. Januar 2012 demonstrierte.
Nach einem zweieinhalb Monate andauernden Marsch treffen am 8. Oktober 2011 um die 300 Empörte in Brüssel ein, um vor die europäischen Institutionen zutreten und gegen die Krise zu demonstrieren. Ich habe in Brüssel die 22jährige Aktivistin Caroline Baltus getroffen, die sich sehr stark in der Bewegung engagiert, und ihr einige Fragen gestellt.
Caroline Baltus, welche Rolle hast du bei der Ankunft der Empörten in Brüssel im Oktober 2011 gespielt?
Man hat mich als Juristen gefragt, Teil des legal teams (NDRL: eine der organisatorischen Gruppen der Bewegung) zu werden. Meine Aufgabe bestand zum einen in der Prävention. Im Falle unerwarteter Repression der Polizei während der Aktionen wurde ich jedoch ebenso tätig. Was die Prävention anbelangt, verteilte unsere Gruppe eine Reihe juristischer Grundinformationen und klärte die Demonstranten über ihre Rechte auf. Während der Demo am 15. Oktober war es unsere Aufgabe die Berichte von Leuten aufzunehmen, die Zeuge von Polizeiübergriffen wurden, sodass schließlich eine rechtliche Weiterverfolgung gewährleisten werden kann.
Wann sind die Empörten schließlich angekommen? Wie war die Stimmung?
Sie sind etwa am 10. Oktober angekommen. Unser großes Projekt war es alle Gruppen der Empörten Europas in Brüssel zu versammeln. Eine große Kolonne hat sich von der Puerta del Sol aus, wo die Bewegung in Madrid ihren Ursprung hatte, in Bewegung gesetzt und ist zu einer Art Pilgerfahrt geworden. Das Ziel war es, Brüssel zu erreichen, den harten Kern Europas, um dort unseren Forderungen Ausdruck zu verleihen und unsere Vorschläge zu präsentieren.
Und was den physischen Zustand der Leute anbelangt?
Die spanischen Empörten marschierten bereits seit Wochen. Andere wiederum okkupierten schon seit Wochen öffentliche Plätze und mobilisierten ohne Pause. Sie waren also alle extrem müde und diese Müdigkeit führte manchmal auch zu Spannungen. Aber als sie dann in Brüssel ankamen, war der Kontakt zwischen belgischen und spanischen Empörten sehr gut.
Wie sah es mit der Infrastruktur aus, um sie zu empfangen?
Alles war bereits abgesprochen. Die Empörten versuchten durch ihre Besetzung vor allem zu zeigen, dass sie sich auch organisieren können und dass keine Anarchie herrscht. Es gab verantwortliche Personen, die Kontakt mit den Orten aufnahmen, die die Empörten auf ihrem Weg passierten. Alles musste logistisch organisiert werden, denn schließlich galt es eine große Zahl von Menschen zu verpflegen. Die Kundschafter hatten also schon den Kontakt zu den belgischen Empörten aufgenommen. Diese wiederum traten in Kontakt mit den verantwortlichen Beamten der Stadt Brüssel. Diese hatten erlaubt, dass die Empörten sich im Park Elisabeth aufhalten können. Kurz vor deren Ankunft erließ der Bürgermeister jedoch eine Verordnung, die eine Besetzung, sowie ein Versammlung in der Nacht von mehr als fünf Personen im Park untersagte. Alle waren extrem überrascht und fühlten sich überrumpelt, da die Zusage eigentlich bereits bestand. Die Mitglieder des Media Teams kontaktierten daraufhin den Bürgermeister, um zu erfahren, was los war und die Dinge zu regeln. Schließlich kam es zu einem Kompromiss: Die Empörten durften ihr Camp in der HUB aufschlagen, eine alte, verwahrloste Universität gegenüber des Parks. Diese Entscheidung fiel in letzter Minute und verdeutlichte, dass die Stadtverwaltung die Bewegung auf einen Ort konzentrieren wollte. Ein Park ist zu weitläufig, um so eine Masse von Leuten zu kontrollieren. Ihre Intention war es schließlich uns zu umzäunen. Außerdem gibt es einen guten Grund dafür, dass die HUB nicht mehr genutzt wird: Das Gebäude ist komplett heruntergekommen. Es gibt kein fließendes Wasser, das Sanitärsystem ist seit langem verstopft und konnte somit nicht genutzt werden. Die Behörden waren sich sehr genau darüber im Klaren, dass die Demonstranten es an solch einem Ort nicht länger als eine Woche aushalten würden. Es war ein Ort, wo man die Empörten gut überwachen und rauswerfen konnte.
Wie verlief dann die folgende Woche?
Die Empörten haben es geschafft, sich auf eine vorbildliche Weise zu organisieren. Jeder hatte zu Essen und zu Trinken und Niemanden fehlte es an einer Zudecke. Das Wochenprogramm wurde bereits vor ihrer Ankunft mit ihrer Unterstützung ausgearbeitet. Es beinhaltete eine Serie von Konferenzen und Workshops zur Problematik des Wassers, der Landwirtschaft oder auch der Polizeirepressionen. Die Debatten waren offen für Jedermann. Die allgemeine Assamblea gehörte zum festen Tagespunkt. Dort ging man auf die Workshops ein, versuchte praktische Organisationsfragen zu lösen, genauso wie Fragen, die sich um den Kern der Bewegung drehten – alles immer in dem Wissen, dass es beim finalen Ziel darum ging, sich vor dem Europäischen Parlament zu versammeln, um dort konkrete Forderungen vorzutragen, die das Produkt eines demokratischen Prozesses sind. Während der ganzen Woche wurde geschrieben, aufgenommen und gefilmt. So haben wir letztendlich ein Andenken geschaffen.
Denkst du, die Ziele wurden erreicht? Wurden die Empörten ausreichend wahrgenommen und gehört?
Wenn man das von mir gerade genannte Ziel nimmt, kann ich behaupten, dass unsere Forderungen an das Europäische Parlament herangetragen wurden. Nichtsdestotrotz glaube ich nicht, dass sie Beachtung finden werden. Dennoch ist das Ziel für mich persönlich erreicht wurden, denn dieses Zusammentreffen der Empörten in Brüssel war eine Übereinstimmung von Energie und enormen menschlichen Potential. Trotz einiger Fehler in der Durchführung existierte ein Wille die Dinge zu verändern. Das ist es zumindest, was ich gesehen und erlebt habe.
Und wie verlief die große Demo am 15. Oktober?
Die Verhandlungen im Voraus waren zum Haare raufen. Wie abgesprochen wurde die Strecke beschildert. Und wie versprochen gab es nur ein Minimum an Zivilpolizisten. Ich hatte bereits die Möglichkeit an mehreren Demos in der Vergangenheit teilzunehmen, doch noch nie habe ich einen solch friedlichen Umgang zwischen Polizei und Demonstranten erlebt. Die Polizeiwagen folgten der Demo mit einem Abstand von drei Metern, sie drängten die Masse nicht. Sie haben ab und zu den Demonstrationszug wieder zurecht gerückt, aber auf sanfte Weise. Trotzdem kann ich als Teil des legal Teams sagen, dass es dennoch einige Fehltritte gab. Ich sah jemanden der festgenommen und in ein Polizeiauto geprügelt wurde. Und ich habe die Zeugenaussage einer Person aufgenommen, die Zivilpolizisten in der Menge gesehen hat. Diese gaben sich als Randalierer und zerschlugen absichtlich Schaufensterscheiben, um Unruhe zu stifteten, die sich hätte ausbreiten können wie ein Lauffeuer.
Trotz medialen Desinteresses denkst du, dass sich etwas bewegen wird?
Es ist klar, dass sich in ganz Europa eine Manipulation der Medien offenbart. Das ist noch viel deutlicher in den USA: Der Zynismus mit dem die Medien dort über die Bewegung berichten ist ziemlich unerhört. Aber die Personen, die sich für unser Anliegen interessieren, wissen, dass die Informationen nicht in den klassischen Medien zu finden sind. Dank der neuen Technologien unserer Zeit, vor allem das Internet, verbreiten sich Informationen heute anders. Sie bewegt sich viel schneller als jemals zuvor. Ich bin erstaunt über die Masse an Menschen, die wir erreichen können – und schon das ist unser großer Sieg. Ich glaube nicht, dass wir es schaffen werden das System von heute auf morgen zu verändern, aber mittlerweile gibt es einen Konsens, was diese Problematik anbelangt. Und es sind diese Leute, die lernen, die sich dieses Konzept aneignen und sich ihre eigenen Gedanken machen und damit den zukünftigen Wandel schaffen.
Ein wahrhaftiger Komplott also seitens der Medien und der Behörden gegen die Empörten? All die Kritik, die man über sie in der Presse lesen kann, basieren nicht auf einer wahrheitsgemäßen Grundlage. Sie haben keinen Anführer, keine Hierarchie, es sind also wenn es nach den Kritikern geht eindeutig Hippies und Anarchisten. Die Bewegung fordert letztlich echte Demokratie, mit gleichberechtigter Macht! Andere kritisieren, dass sie keine konkreten Forderungen haben oder klare Botschaften und dass sie total unorganisiert agieren. Die Aktionen in Brüssel im Oktober 2011 beweisen das Gegenteil! Wieder Andere sehen hämisch voraus, dass der Winter die Bewegung ohnehin töten wird und sie könnten schließlich nicht unbegrenzt öffentliche Plätze besetzen. Die Revolution findet vor allem im Internet statt, dort wo alle ihre Ideen und Meinungen austauschen! Die Demonstration am 15. Januar 2012 in Berlin, zu der weniger Leute gekommen sind als noch im Oktober 2011, verlief ruhig und in guter Stimmung. Nach einem Demonstrationsmarsch von zweieinhalb Stunden besetzten um die 200 Personen den Hauptbahnhof, wo es nicht lange dauerte, bis die Polizei sie von dort entfernte. Das nächste große Treffen ist übrigens schon für den 12. Mai 2012 angesetzt. Trotz all der an ihnen geübten Kritik waren die Empörten die ersten, die ihre Stimme erhoben haben und sie sind nicht bereit damit wieder zu aufzuhören.