Von Robert Schmidt
Foto: Volha Pushkarova
Blaue Luftballons mit gelben Sternen steigen hinauf in den Abendhimmel, Zettel hängen daran mit Wünschen an Europa. Für einen Moment ist es ganz still, hier an der Oderbrücke zwischen Frankfurt und Słubice. Einen Augenblick später verweben sie sich wieder, die bunten Sprachfäden aus Polnisch, Deutsch, Französisch, Englisch.
Doch zunächst 24 Stunden zurück. Es ist ein sonniger Mainachmittag am Frankfurter Helenesee, während eine der letzten Proben eines deutsch-polnisch-französischen Theaterworkshops für Schüler beginnt. Martin aus Berlin steht ein wenig verloren inmitten der großen Turnhalle des Eurocamps. Der blonde 16-jährige ist der einzige deutsche Teilnehmer. "Wir hoffen, dass die Europäische Union das Verständnis zwischen den Kulturen ermöglichen wird", ruft Martin in die Halle. "Lauter", ermahnt ihn auf Englisch Maxime Séchaud, der französische Leiter. Martin wiederholt, diesmal mit festerer Stimme.
Geleitet wird das "Atelier de théâtre" von der französischen Truppe „Théâtre de l'Ordinaire“ aus Lille. Einige in Berlin lebenden Franzosen sind für den fünftägigen Workshop ins Eurocamp angereist, außerdem eine Schulklasse aus dem polnischen Gorzów. Die zehn Jungen und Mädchen besuchen die vorletzte Klassenstufe des dortigen Gymnasiums. Es sei eine gute Ergänzung zum Theaterkurs der Schule, erklärt eine mitgereiste Lehrerin. "Sie mischen die Sprachen hier, stellen gemeinsam etwas auf die Beine."
Einen Tag später ist der erste große Auftritt am Bahnhof in Frankfurt. Im Rahmen der Europäischen Jugendwoche des Programms "Jugend in Aktion" rollt heute ein "Europa-Zug" durch Brandenburg und wird auch für vier Stunden in Frankfurt/Oder Station halten. Die Theatertruppe soll junge Leute auf die Ausstellung in und um den Zug zum Thema Arbeiten, Studieren und Freiwilligendienst in Europa aufmerksam machen.
Ein Horde Schwarzgekleideter läuft mit Koffern in Zeitlupe durch die Bahnhofshalle. Martin ist darunter, er lacht. Die Menschen gucken irritiert, tuscheln. Vor der Halle dann die rund dreißig-minütige Aufführung, ein Franzose begleitet auf dem Keyboard. Die Schauspieler kommen mit wenig Worten aus, man versteht "Liberté", "Solidarność" und "Europa". Die Geschichte Europas wird an Hand seiner einschneidendsten Ereignisse dargestellt. Der 2. Weltkrieg gezeigt (die Darsteller rempeln sich an), der kalte Krieg (Darsteller tun so, als ob sie frieren) und der Frieden (alle umarmen sich). Wünsche und Ängste der Teilnehmer zu Europa kommen im Stück ebenso vor. "Angst, später keine Arbeit zu finden, hätten viele der Workshop-Teilnehmer gehabt", erklärt Elise Brunel später. Die Erasmus-Studentin aus Frankreich ist eine der Organisatorinnen.
Weiter im Stück. Die jungen Schauspieler kommen zusammen, stellen sich schlafend aneinander, dicht an dicht. "Wir sind voller Träume und Hoffnungen", ruft einer schließlich, auf Französisch, nur wenige der Passanten werden das verstanden haben. Die Jugendlichen setzen sich Masken auf. Martin sagt seinen Satz, er wirkt selbstsicherer heute. "Was machst du in meinem Land?“ - „I'm the King of Europe",antwortet ein Schauspieler. Die anderen lachen. Am Ende des Stücks marschieren alle gemeinsam unter einem Banner. "Alle anders, alle gleich" ist darauf zu lesen. Das Publikum applaudiert.
Szenenwechsel. Die zweite und letzte Aufführung des Stücks findet noch am Abend in der Nähe der Grenzbrücke nach Słubice statt. Die Bühne ist die Uferpromenade gleich hinter dem Wohn- und Kulturprojekt "verbuendungshaus fforst", dem Gastgeber des Abends. "Hier fängt Europa an" lautet das Motto des « fforst-Hauses », in dem rund ein Dutzend Nationalitäten, zumeist Studenten, in WGs zusammen leben. Viele von den Bewohnern sind gekommen, außerdem Interessierte und Passanten von beiden Seiten der Oder.
Während der zweiten Aufführung wird, anders als am Bahnhof, im Publikum geflüstert, werden sich gegenseitig einzelne Passagen übersetzt. Die Darsteller erscheinen ein wenig müde. Sie haben bis spät in die Nacht geprobt, erfährt man. Doch die Mühen werden durch Applaus und Freudenrufe belohnt. Ein kurzer Moment der Verwirrung folgt. Schließlich werden Kugelschreiber verteilt, jeder soll seine Wünsche an Europa auf einen Zettel schreiben und sie an einen Ballon binden.
Als alle wartend mit ihren Ballons dastehen, beginnt einer der jungen Schauspieler, Dominik, ein polnisches Lied zu singen. Seine Mitschüler stimmen mit ein. Wer kein Polnisch kann, versteht es nicht. Doch zu fühlen scheinen es alle. Die Luftballons steigen hinauf. Als jeder wieder durcheinander redet, geht Martin zu Dominik. Beide verraten sich, was auf ihren Zetteln steht.