Von Christian Duwe und Flore Guiffault
Clarisse Blanchaud gehört zu der immer größer werdenden frankophonen Minderheit in Berlin. Nach Ihrem Umzug in das Berliner Viertel Friedrichshain, gründete die engagierte Lehrerin aus Paris gemeinsam mit einem befreundeten Künstler das lokal verankerte Ausstellungsforum AT.18 in der Jungstraße 18. Im Interview berichtet Clarisse über ihre Beweggründe, in die deutsche Hauptstadt zu ziehen und als Französin im kulturellen Schmelztiegel Berlin zu leben.
Flore: Wie bist du nach Berlin gekommen?
Clarisse: Ich bin schrittweise in Berlin angekommen. Es hat vor 3 Jahren angefangen. Ich habe hier mehrmals meinen Urlaub verbracht. Dann, letztes Jahr, habe ich mich für ein Jahr beurlauben lassen – ich arbeitete bis dahin als Lehrerin in Paris – und dieses Jahr habe ich um eine Versetzung im Rahmen des deutsch-französischen Austauschprogramms für Grundschullehrer gebeten. Daher unterrichte ich jetzt in 2 Berliner Schulen in Spandau.
F: Weshalb hast du entschieden, nach Berlin zu gehen?
C: Das ist eine lange Geschichte zwischen mir und der deutschen Sprache. Ich hatte zuvor ein wenig Deutsch studiert. Es war also eine Sprache, die ich schon beherrschte. Außerdem schien mir die Stadt kulturell recht dynamisch, sodass ich mich entschieden habe, hierher zu ziehen.
F: Wie ist deine Beziehung zu Berlin und zu Frankreich?
C: Berlin - dazu kann ich sagen, dass es meine Stadt ist. Eine Stadt, in der ich mich wohl fühle, selbst wenn es eine fremde Stadt bleibt. Es gibt viele Dinge, welche daran erinnern, dass man im Ausland ist, aber im vertrauten Ausland.
Wenn ich morgens mit allen Anderen U-Bahn fahre, dann bin ich ein Teil dieser Szenerie. Ich werde nicht jede Sekunde als Ausländerin eingeordnet. Jedoch habe ich mich noch niemals so sehr als Französin gefühlt wie hier in Berlin. Niemals habe ich mich wirklich gefragt, was es bedeutet, Französin zu sein. Für mich war es selbstverständlich. Seitdem ich im Ausland lebe, bin ich mir dessen bewusster. Das beginnt mit der Sehnsucht nach crème de marron, dem Kontakt mit den Nachbarn und endet bei kleinen Details des Alltags. Eigentlich haben wir in Berlin eine kleine frankophone Insel, wir haben Freunde aus Québec, aus dem frankophonen Afrika, aus Belgien. Aber wir versuchen sie so weit wie möglich für Deutsche zu öffnen. Das hat keinen Exklusivitätsanspruch.
F: Hast du Lust, hier zu bleiben? Ist dein Aufenthalt in Berlin definitiv oder wie eine lange Reise?
C: Nicht unbedingt definitiv, aber es gibt nichts, was mich dringend bewegen würde, zurückzukehren. Woanders hin werde ich schauen, wenn sich Gelegenheiten ergeben.
F: Könntest du dein Umfeld beschreiben? Weshalb lebst du hier?
C: Ich lebe im Bezirk Friedrichshain, der oft als trendy und studentisch beschrieben wird. Es gab eine ganze Reihe von Zufällen. Meine letzte Wohnung, die ich vor meinem Umzug hierher gemietet hatte, lag in diesem Viertel und zu dieser Zeit waren die Mieten noch moderat. Seit 2 Jahren ändert sich das soziologische Profil der Bewohner etwas. Das hat mir erlaubt, mich mit einem befreundeten Künstler niederzulassen und einen multifunktionellen Ausstellungsraum zu eröffnen.
F: Warum hast du dieses Atelier eröffnet?
C: Der Lehrerberuf erlaubt es mir zu leben und Projekte im assoziativen Rahmen anzustoßen. In Frankreich habe ich mich bereits für zeitgenössische Kunst interessiert und ich hatte Lust, in Berlin einen Arbeitsraum für Ausstellungen und gemeinsame Projekte zu schaffen. Die Mehrzahl der Künstler kommt aus Frankreich, da es vielen schwer fällt, bürokratische Hindernisse auf Deutsch zu bewältigen und dementsprechend der Zugang zu diesem Atelier einfacher ist, aber auch weil wir viele Kontakte zu Franzosen oder Frankophone haben. Die ersten Künstler, die hier ausgestellt haben, waren uns bereits bekannte Künstler aus Frankreich. Aber hier besteht keine Exklusivität, dieser Raum entwickelt sich nach und nach. Das Projekt entwickelt sich in dem Maße wie der (Teilnehmer)kreis sich in der Stadt ausweitet: wir haben in der Straße eine befreundete Designerin, mit welcher wir arbeiten könnten; ein französischer Tischler, der eventuell im Atelier ausstellen könnte.
F: Denkst du, dass Kunst in Berlin mehr Platz hat als in Paris?
C: In Paris kann man nicht über die Räume verfügen. Man muss in überreservierte, institutionalisierte Räume gehen, was sehr lange dauert und sehr mühsam ist, wenn man gleichzeitig berufstätig ist. Oder man geht über bereits existierende Einrichtungen mit ihren sehr speziellen Strukturen. Etwas spontanere Dinge, organisiert von Leuten ohne viel Zeit oder ein Wahnsinnsbudget, lassen sich nur in Berlin realisieren.
F: Wie sieht es mit den Ideen aus, mit der Kreativität?
C: Es ist sehr anregend, dass Dinge sehr schnell möglich sind. Aber die Stadt wimmelt von Projekten, die nicht unbedingt zu Ende geführt werden.
Merci beaucoup Clarisse!
Kontakt:
Clarisse Blanchaud
Jungstraße 18
10247 Berlin
Künstler mit regelmäßigen Ausstellungen im AT.18
Dominique Pivetaud
http://www.dominiquepiveteaud.org
Mathieu Flammarion
http://www.mathieu-flammarion.odexpo.com
Yves Bonhomme
http://fr-fr.facebook.com/people/Yves-Bonhomme/1082566226