Von Anna Maria Ortese
Französische Übersetzung Lisa Digée
Bilder Alice Baillaud, Cristian Radu
Berlin ist Anziehungsmagnet für Kunst und Kultur. In den letzten Jahren kommen insbesondere aus Frankreich immer mehr Künstler, um ein Teil dieses kreativen Feuerwerks zu werden. Doch wie kam es dazu, dass Berlin so anziehend wurde, wie es heute ist?
„Alles ist extrem reglementiert, die Fassaden wurden alle neu gemacht und insofern ist alles sehr schön, es ist richtig hübsch, es ist im Prinzip eine sehr schöne Postkarte aber es ist einfach weniger lebhaft. Ich glaube die Stadt hat viel mit der Zeit verloren beziehungsweise man hat mir gesagt, dass Paris früher anders war – vielleicht ein bisschen wie Berlin.“
So beschreibt die Bildende Künstlerin Alice Baillaud Paris und versucht damit, den Unterschied zu Berlin zu verdeutlichen.
Die Tatsache, dass immer mehr Künstler aus aller Welt nach Berlin kommen, um sich inspirieren zu lassen scheint mittlerweile zu einem Phänomen geworden zu sein. Berlin ist zur neuen Kunst- und Kultur-Hauptstadt Europas geworden. Die Begründung hierfür sehen viele hauptsächlich in den, im Vergleich zu anderen Hauptstädten, bezahlbaren Mieten und den günstigen Lebenshaltungskosten.
Dass sich diese Entwicklung jedoch nicht allein mit ökonomischen Überlegungen begründen lässt, stellt Ruth Martius, Gründerin und Geschäftsführerin des KunstBüroBerlin heraus. Für den Boum seien nämlich auch historische und gesellschaftliche Ereignisse verantwortlich. Warum Berlin gerade für französische Künstler interessant ist, erklären Timothée Demoury und Alice Baillaud, die schon mehrere Jahre in der deutschen Hauptstadt leben und arbeiten.
Die „Öffnung des eisernen Vorhangs“ ist laut Ruth Martius der entscheidende Moment gewesen, von dem an sich Berlin völlig gewandelt hat. Für viele habe sich die Frage nach der Position Deutschlands in Europa gestellt. Insgesamt mussten die Europäer sich mit „ihrem Umfeld neu auseinandersetzen“. In diesem Zusammenhang sei ein Impuls von Berlin ausgegangen, den es so in anderen Städten nicht gab, den die Menschen gespürt hätten und der eine große Neugier geweckt habe.
Ausgehend von dieser geschichtlich einmaligen Lage Deutschlands, die Berlin als Mittelpunkt hatte, folgte schließlich das Interesse insbesondere von Seiten der Künstler. Allerdings seien zuerst Unternehmen nach Deutschland gekommen „und mit den Wirtschaftsleuten, sind dann nach und nach auch die Künstler gekommen“. Diese haben dann das Geschehen um den Mauerfall und all das was danach geschah unter anderem in Dokumentationen festgehalten. Dies taten sie ganz einfach weil die Unterschiede zwischen West- und Ostberlin so extrem waren, dass es natürlich künstlerisch von höchstem Interesse war. Einer der Gründe weshalb insbesondere Franzosen immer mehr von Berlin angezogen werden, sei unter anderem darin zu erkennen, dass Berlin eine relativ frankophone Stadt ist. Im Vergleich zu anderen deutschen Städten ist Berlin vom Flair her eher französisch, denn der Einfluss der Hugenotten hat selbstverständlich bis heute Spuren hinterlassen.
Allerdings wird bei genauerer Betrachtung ebenfalls deutlich, dass es sich um einen äußerst langwierigen Prozess handelt. Denn aus Frankreich kommen laut eines Artikels der TAZ vom 14.07.2012 erst seit 2008 vermehrt französische Künstler in die deutsche Hauptstadt. Es handle sich dabei nämlich in den letzten Jahren „weniger um Wohlhabende, als um Studenten, Intellektuelle und Künstler, die in Berlin mit wenig Geld besser leben können[...]“. Auch wenn der Aufenthalt in dieser Stadt manchmal nur für eine begrenzte Zeit ist, wie Timothée Demoury betont.
Er ist Singer-Songwriter in seinem Solo - Projekt ‚Brome’ und spielt als Bassist oder Gitarrist in der Band ‚Bocage’ mit. Er lebt bereits seit vier Jahren in Berlin und berichtet davon, wie er den Weg in die deutsche Hauptstadt gefunden hat, wie er das Leben dort empfindet und welche Vorteile er in dieser Stadt erkennt, die er in Frankreich vermisst hat. „Berlin ist sehr groß, sehr vielseitig. Du findest dort viele Ausländer, sehr wenige Berliner aber das ist auch eine besondere Eigenschaft.“. Ursprünglich kommt Timothée aus Nantes eine Stadt mit fast einer Million Einwohner. Obwohl es eine wesentlich kleinere Stadt ist, empfindet er Berlin als ruhiger und fügt hinzu: „Es ist auch wahr, dass ich in Berlin jeden Tag das Gefühl habe, im Urlaub zu sein.“ Jedoch findet der Musiker auch, dass sich diese Stadt extrem schnell entwickelt und verändert. Allein in den vier Jahren, die er hier lebt, habe sich extrem viel verändert. Tatsächlich scheint langsam das Leben in Berlin, sogar teurer zu werden.
Nach Berlin kam Timothée eher durch einen Zufall. Er hatte zwar Lust eine andere Stadt kennenzulernen, war allerdings eher an Brüssel interessiert. Da ihn jedoch die Musikszene dort nicht überzeugte, entschied er sich dagegen. Und so kam es, dass er sich nach einem kurzen Urlaub in Berlin, in diese Stadt verliebte und beschloss hinzuziehen.
Auch die bildende Künstlerin Alice Baillaud sagt, sie habe sich letzten Endes in Berlin verliebt. Allerdings kam sie ursprünglich ausschließlich wegen der Liebe hierher und hatte vorher keine Vorstellung davon, wie das Leben in einer Stadt wie Berlin sein würde. Seit 2011 wohnt sie ausschließlich in Berlin, während sie vorher noch oft zwischen der Normandie und Berlin gependelt ist. „Um ehrlich zu sein“ sagt sie „war ich davor von Deutschland nicht besonders angezogen.“ Sie hatte zwar viel in den Medien über Berlin gehört und wusste, dass sich auch vieles auf der künstlerischen Ebene entwickelte, aber sie hatte ihre Existenz als Künstlerin in der Normandie und konnte sich nicht beklagen. Schließlich hat sie Berlin aber doch komplett für sich entdeckt und kann heute sagen, dass es „eine geniale Stadt“ ist. Entgegengesetzt ihrer Erwartungen, ist diese Stadt sehr phantasievoll und alles andere als streng und autoritär. Zumindest sei das in Berlin so, über anderen Regionen könne sie nicht viel sagen. „Der öffentliche Raum ist in Berlin wieder zum Eigentum der Bürger geworden“ schwärmt sie von der Stadt. Insbesondere im Vergleich zu Paris, wo sie auch schon eine Zeit lang gelebt hat, findet sie, dass es hier viel weniger Regeln gibt und eine Grundstimmung von Freiheit herrscht, die eben für eine Großstadt außergewöhnlich ist und auf Künstler sehr verlockend wirkt.
Andererseits ist das Künstlerdasein von Alice in Berlin ein ganz anderes als in ihrer Heimat. Die Bezahlung sei nicht im geringsten vergleichbar mit der in Frankreich, wo sie auch in verschiedenen Städten gearbeitet hat.
Es ist eine Tatsache, dass der Staat in Frankreich, zumindest bisher viel Geld für Kunst und Kultur zur Verfügung gestellt hat. Möglich sei das, weil die Kunstförderung des Staates, beispielsweise durch die DRAC (Direction Régionale des Affaires Culturelles) ziemlich stark ist. Laut Ruth Martius fällt diese Art von Förderung, in Deutschland wesentlich geringer aus. In Deutschland sei es komplexer und es komme eher auf die Einflüsse von privaten Sammlern an. Schließlich fügt sie hinzu, dass jedoch auch in Frankreich nach und nach auf Grund der wirtschaftlichen Veränderung das deutsche System angestrebt würde.
Auch Timothée bestätigt, dass die Bezahlungen in der Berliner Kunstbranche eher gering ausfallen. Andererseits sieht er in Berlin bzw. allgemein in Deutschland den großen Vorteil, dass seine Musik mit einer größeren Offenheit aufgenommen wird. „In Deutschland sind die Menschen viel neugieriger als in Frankreich.“ Hierzu muss auch gesagt werden, dass Timothée mit seiner Band ‚Bocage’ einen Musikstil anbietet, der nicht eindeutig einer Stilrichtung zugeordnet werden kann. ‚Bocage’ besteht aus einer vielseitigen Mischung aus Pop-Rock, Indie, Electro, Chansons bis hin zu Hip-Hop.
Beide Künstler sind der Meinung, dass sowohl im Bereich der bildenden Kunst, als auch in der Musikszene in Berlin ein vielfältigeres Angebot existiert als in Frankreich. Dafür sei die Qualität natürlich nicht immer die Beste. Das kann man einerseits bemängeln aber andererseits ist es auch ein gesundes Zeichen mit der Aussage: In Berlin kann jeder Künstler sein und in der Öffentlichkeit etwas präsentieren. Die Frage, die dabei jedoch offen bleibt ist: Wie lange wird das noch so bleiben können?
Am 14.02.2014 findet die Vernissage von Alice Baillauds Soloausstellung mit dem Titel "Série Désir" in der Galerie ‚weisser elefant’ statt. Mehr Infos findet ihr unter: http://galerieweisserelefant.de/?page_id=474
Die Musik von Timothée Demoury könnt ihr euch unter: http://brome.bandcamp.com/ sowie http://bocage.bandcamp.cpm/ anhören.