Von Madlen Stange
Übersetzung Thomas Hess/ Madlen Stange
Lektorat Antje Springer
Bilder: Stefan Katz
Beide Darstellungen vereinen den Akt des Passieren-Lassens auf verschiedene Weisen. Ein Individuum schaut – mehr oder weniger regungslos dem Lauf der Dinge zu, ohne den Prozess in irgendeiner Weise zu stören oder zu unterbrechen. Und doch sind beide Personen Bestandteil desselben, dem sie sich am Ende gar kommentarlos entziehen. Beide Szenen spielten sich während der Eröffnung der Themenausstellung „Handlungsbereitschaft – Skizze einer Generation am Ende der Geschichte“ ab. Organisiert von den jungen Kunsthistorikern Mona El Bira, LiaMaria Hillers und Julian Malte Schindele, waren im September 2011 die Werke verschiedener junger Künstler im Mica Moca in Berlin Wedding für knapp 4 Tage zu sehen. Thema war die Grundstimmung einer Generation, und zwar der heute 20- 30 Jährigen, die sich aus den verschiedenen Perspektiven der ausgestellten Werke zusammensetzte.

Da sind beispielsweise die Arbeiten von Martin Bothe, eine simple Schnittvorlage aus Papier in Form eines Hauses auf dessen Seiten groß abgedruckt das Gesicht des Künstlers zu sehen ist. Die Persönlichkeit zum Selber-Basteln. Das Haus steht andererseits auch für eine Welt, die nur der eigenen Person zuträglich ist, wenn gleich sie auch eine wichtige Schutzfunktion inne hat. Schutz und Abgrenzung des Individuums zur Außenwelt bedeutet auch Schutz der Persönlichkeit. Wie stark sind die Wände diese Hauses, wer hat die besseren Baumaterialien? Eine ehrliche Metapher, die in ihrer Einfachheit in viele Richtungen strahlt: Individualität, die Bedeutung des zu Hause – vieles deutet auf die Bedeutung einer integeren Persönlichkeit in der heutigen Zeit und darauf, was einen zur „Persönlichkeit“ macht. Auch die Zeichnung „German Boy“, ebenfalls aus der Feder Bothes, ist eine beeindruckende Darstellung: eine dünne Linie formt eine sitzende Gestalt, ohne Gesicht, ohne Hände, ohne Füße - man könnte meinen, da sitzt ein Jemand ohne Identität und ohne Interventionsmöglichkeiten und sofort steigt ein Gefühl der Entfernung und des Stillstandes auf. Man fragt sich, wie kennzeichnend ein solches Bild für unsere heutige Zeit ist? Was ist die Basis der menschlichen Handlungsmöglichkeiten?
Eine anderen Ansatz zeigt die Arbeit von Lea Steffens, Studentin an der Universität der Freien Künste, Berlin, die in ihrer Zeichnung sehr konkret anspricht: „I miss U MTV“. Ein sehnsüchtiger Blick zurück. Er geht in die Pop-Welt der 90er Jahre und damit auch zurück in ein Mediensystem, dessen Informationsfluss ein anderer als heute war. Ohne Web 2.0 war er vor allem eins: einseitig. Das Unterhaltungs- und Informationsmonopol der Massenmedien hatte damals noch einen anderen Stellenwert und machte jeden einzelnen Rezipienten zum Konsumenten auf immaterieller wie materieller Ebene. Man erinnert sich an das popmusikalische Agendasetting von MTV, die neusten Nike-Turnschuhe, Coca Cola etc. Immerhin waren die Jugendlichen der 90er Jahre die ersten, denen die Option offen stand, sich während ihrer Pubertät, auf der Suche nach Identität eben in jenen Produkten und Medienangeboten zu verlieren (wenn sie dies auch unbewusst taten). Nach der Talk-Schow-Ära, man erinnert sich an Arabella Kiesbauer) kamen wenige Jahre später die ersten Reality Schows, die das Verhältnis zwischen Medien und dem Konsumenten, oder Privatem und Öffentlichem veränderten. Was, wenn nicht das Fernsehen war es, das diese Generation einschlägig prägte?

Die Vergemeinschaftung führt in unserer ausdifferenzierten Gesellschaft zu dem Phänomen, dass in der Öffentlichkeit eine ganze Typologie von Generationsbegriffen zu finden ist. Dies nennt sich auch generation building: Generation Praktikum, Digital Natives, Generation Netzwerker oder Generation Y (die Nachfolgegeneration der Generation X, ein politisch geprägter Begriff der die um 1960- 1970 geborene Nachkriegsgeneration benennt). Die Liste kann beliebig fortgeführt werden: Generation Hartz 4, Generation Mac usw. Fas schon liebevoll klingt Generation Peter Pan – gemeint sind all jene, die am liebsten nie erwachsen werden wollen. Dieser Prozess heißt in der Pädagogik prolongierte Adoleszenz. Nach dieser Theorie sind es vor allem Studenten, die wegen ihrer - im Vergleich zu anders Ausgebildeten - langen Übergangsphase zwischen Kindes- und Erwachsenenalter (meint die volle Erwerbstätigkeit) häufiger von persönlichen Krisen und Konflikten betroffen sind.
Auch gibt es den Begriff Millenials, der ebenfalls die Kohorte bezeichnet, die 2010 in den 20ern - 30ern steckte. Gemeint sind hier die Gewinner der digitalen Revolution, modern, internetkompetent, hoher Bildungsstand, mobil etc. Allerdings zeigen Studien, dass sinnvoller der Umgang mit dem Internet für viele Nutzer immer mehr zum Problem wird, so auch die Studie des Bundesgesundheitsministeriums, nach der in Deutschland über eine halbe Million Menschen internetsüchtig sind. Wie steht es da mit der Inanspruchnahme der Versammlungs- und Artikulationsfunktion des Internet? Wie schnell verpufft die kommunikative Macht der Generation Internet, wenn diese ihre Verantwortung nicht übernehmen kann?
Zum Umgang mit neuen Medien gibt die Arbeit Martin Kohouts einen interessanten Kommentar: mit sinem stummen Video-Loop „Watching Martin Kohout“ thematisiert er die teilweise irrwitzige Kommunikation, die das Web2.0 heute ermöglicht. Im Video zeigt sich der Künstler selbs in regungs- und emotionsloser Pose beim Ansehen von Youtoube-Filmen, die er dann wiederum als Kommentar auf der Film-Plattform postete.
Der Betrachter fragt sich nach dem Sinn des ganzen Kommentierens und Mitteilens. Was für eine Motivation steht dahinter? Wenn man den Gedanken ins Extreme spinnt, dreht sich hier eine Abwärtsspirale, bei der sich Masse und Präsenz immer weiter von Inhalt und Relevanz entfernen.
Und doch kein Ende der Geschichte?
Die Ausstellung bleibt mit jenen reflektierten Positionen ein Dokument ihrer Zeit. Und dennoch scheint die Statistik den Gegenbeweis zu liefern, denn verschiedene Studien beweisen einen deutlichen Abfall öffentlicher Interessen eben dieser Generation, der heute 20 - 30 Jährigen.
Vor zehn Jahren führte das Berliner Max-Planck-Institut eine Studie zur politischen Handlungsbereitschaft von Jugendlichen im Alter von 14 - 15 Jahren in Deutschland durch. Diese war allerdings nur Teil eines international angelegten Projektes: Die International Assoziation for the Evaluation for Educational Achievment (IEA) befragte in diesem Zeitraum 95.000 Jugendliche im Alter von 14 bis 15 Jahren in 29 Ländern der Welt. Damals war das Ziel der Untersuchung, mehr über die Heranwachsenden und ihre politische Passion oder auch Apathie zu erfahren, noch bevor sie das tatsächliche Stadium eines Bürgers mit Rechten und Pflichten erreicht haben. Die Ergebnisse waren nicht erschütternd, dennoch beachtenswert: Jugendliche aus reichen Industriestaaten zeigten eine signifikant geringere politische Handlungsbereitschaft als Jugendliche aus ärmeren Staaten. Die Einstellung wurde über die Wahl von legalen Methoden, wie Wahlbeteiligung, soziales Engagement, Teilnahme an Demonstrationen, oder illegalen Methoden, beispielsweise der Blockade von Bahngleisen, Grafitti sprühen etc. erfasst.
Am aktuellsten und umfassendsten sind Ergebnisse der Schell Jugendstudien, die einmal jährlich in einer repräsentativen Befragung den kompletten Interessenshorizont junger Menschen in Deutschland abscannt. Da Schell diese Studie seit 1984 durchführt, lassen die Analysen auch einen Langzeitvergleich zu: Im Jahresquerschnitt zeigen die Ergebnisse, dass das politische Interesse der Generation der 15 - 24 Jährigen in den 90er Jahren kontinuierlich sank. Erst seit 2002 stieg die Quote wieder allmählich an. Sie hat aber noch lange nicht ihren vorherigen Stand erreicht.
Was sagt uns das heute: Erstens scheint das Problem die deutschen Staatsgrenzen zu überragen. Zweitens hat wohl wirklich eine Verlagerung von Motivation für öffentliche politische Dinge zu anderen, vielleicht persönlichen Schwerpunkten stattgefunden.
„Da gibt es den immer fortwährenden Vorwurf der Altachtundsechziger, unsere Generationder heute 20 bis 30-Jährigen hätte jedes Gefühl für gesamtgesellsachftliches Engagementund demokratisches Verantwortungsbewusstsein verloren. Die Ausstellung"Handlungsbereitschaft - Skizze einer Generation am Ende der Geschichte" beweistschon allein durch die Tatsache, dass sie verwirklicht und äußerst erfolgreichangenommen wurde, dass es eine Bewegung gibt, die sich dem entgegen stelllt. Hierwurde und wird ein Raum geschaffen, an dem die Positionierung einer ganzen Generationneu verhandelt und reflektiert werden kann. Nutzen wir diese Chance“, Luisa Maria Schweizer, European Alternatives.
So ist eine Generation eben auch soziale Tatsache und Generationenforschung eine Möglichkeit, den gesellschaftlichen Wandel zu strukturieren. Sogenannte Selbstthematisierungen, wie es diese Ausstellung auch darstellt, sind ein gängiges Analysekonzept. Momentan tauchen beispielsweise auch immer mehr solcher Selbstanalysen in der Literatur auf: Und irgendwie ist das größte Problem dieser Generation wohl das eigene „Ich“. Am schlimmsten ist die Angst vor falschen Entscheidungen, meint Nina Pauer: „Wir sind andererseits die ängstlichste Generation weil wir eben unter sehr starkem psychischem Druck stehen, der uns in Therapien, zu Rückenärzten und Yogalehrern usw. treibt.“, sagt die freie Autorin über ihre eigene Generation. Es wäre das einzige Problem, die richtige Version unseres Selbst zu finden, spricht sie weiter zu einer ZDF- Reporterin. Nina Pauer schreibt für „Zeit-online“, lebt in Berlin und veröffentlichte kürzlich ihr erstes Buch „Wir haben keine Angst, Gruppentherapie einer Generation“. Der Neon-Orange gefärbte Bucheinband schmerzt etwas in den Augen. Wer das Buch liest, erkennt, die Geschichte ist symptomatisch. Zeitgleich erschienen der Roman von Meredith Haaf „Heult doch! - Über eine Generation und ihre Luxusprobleme “. Ebenfalls in Berlin lebend schrieb die Autorin ihr zweites Buch direkt nach dem Universitätsabschluss und trifft damit ins Schwarze – eine kritische Analyse ihrer Altersgenossen., die nicht nur den status quo, sondern auch Ursachen und Zusammenhänge von Kommunikationswut, Konsumzwang und Ängsten in gesellschaftspolitischem Kontext reflektiert.
Der Nachsatz „Generation am Ende der Geschichte“ entstammt übrigens einem kontrovers diskutierten Ausruf des amerikanischen Politikwissenschaftlers Francis Fukuyama. Im Jahre 1992 veröffentlichte er sein Buch mit gleichem Titel, „Das Ende der Geschichte“, was den Standpunkt vertritt, das liberale Demokratie-Modell des Westens sei mit dem Fall der Berliner Mauer und dem Scheitern des Kommunismus endgültig am Ziel angelangt – in einer Welt, in der es keine Widersprüche mehr gibt. In den Feuilletons diskutiert, ist dies eine eigenwillige Interpretation der Hegelschen Deutung von Geschichte, dennoch ein überspitzter und gelungener Titel für ein Ausstellungsprojekt.
Die Dresdner Motorenhalle zeigte bis Mitte Januar 2012 übrigens eine ähnliche Ausstellung wie sie das Trio El Bira, Hillers-Schindele in Berlin organisierte: «Folge der Generationen » thematisierte in etwas anderer Weise eben auch dieses Wir-Gefühl (hier von mehreren Generationen) und hinterfragt die heutige Lebenskultur des Kapitalismus hinsichtlich ihrer Bedeutung für den Einzelnen und dessen Selbstverwirklichung.
Im August 2012 wird dann die zweite Auflage von Handlungsbereitschaft gezeigt. Diesmal in den Kunstsaelen Berlin, einer renommierten Galerie für zeitgenössische Kunst in Berlin Schöneberg.